Montag, Mai 26, 2014

Von Bedrohungen, großen Ideen und Religion als Unterbrechung. Verena Kast meets Johann Baptist Metz und Dorothee Sölle.


"Es irritiert mich zunehmend" , schrieb Verena Kast (Jg. 1943) vor Jahren, "wenn in Gesprächen über unsere heutige Lebenssituation nur noch das Bedrohliche genannt wird, wenn die Bedrohungen geradezu angehäuft werden, mit Zahlen untermauert, die angeblich stimmen sollen. Für den Fortgang des Lebens gibt es keine Zahlen, die stimmen."
Bild: Cinetext.
"The Day After Tomorrow"
"Ernst sind offenbar nur die Beiträge, die totale Katastrophen vorwegnehmen und die uns damit zu totalen Opfern erklären", schrieb sie."Diese Gespräche, diese Informationen sind notwendig, sie rütteln auf, - in ihrem destruktiven Sog aber wirken sie nicht aufweckend, aktivieren sie nicht eigene Überlebenskräfte."
 "Das Gegenbild zum Opfer ist der Gestalter. Es wäre kreativer, wieder große Ideen zuzulassen und sie gegen das Mögliche zu halten. Vielleicht wäre das archetypische Bild der Schatzsuche ein Thema, das uns ansprechen kann. In diesem Motiv der Schatzsuche steckt die Hoffnung, etwas ganz Außergewöhnliches zu finden, das dem Leben neuen Sinn und neue Richtung geben kann."

Schatzsuche - Große Ideen - Gestaltung

Das sind die Begriffe, die Verena Kast vorschlägt, wenn nur noch das Bedrohliche genannt wird, wenn die Bedrohungen geradezu angehäuft werden, mit Zahlen untermauert, die angeblich stimmen sollen. Man könnte auch formulieren: Hört auf zu jammern. -

Kommen wir zur Religion, zur Religion als Befreiung.
Der katholische Groß-Theologe Johann Baptist Metz (Jg. 1928) hat Religion so definiert: "Die kürzeste Definition von Religion: Unterbrechung." ( Unterbrechungen. Theologisch-politische Perspektiven und Profile. von Johann Baptist Metz. Mai 1986). Religion unterbricht schon immer eine bestimmte Entwicklung, die nicht akzeptabel ist für die Menschen. "Gott unterbricht Geschichte" (God Interrupts History, New York 2007) nennt der katholische Theologe Lieven Boeve (Jg. 1966) sein Buch in der Nachfolge von Metz.

Ein Beispiel: Der Prophet Jesaja (um 720 v.Chr.) sagte:
Weh denen, die ein Haus an das andere ziehen und einen Acker zum andern bringen, bis daß kein Raum mehr da sei, daß sie allein das Land besitzen! (Jesaja 5,8)
Oder sinngleich der Prophet Micha, ein Zeitgenosse Jesajas:  
Sie reißen Äcker an sich und nehmen Häuser, welche sie gelüstet; also treiben sie Gewalt mit eines jeden Hause und mit eines jeden Erbe. (Micha 2,2)


Wer denkt da nicht an "unsere" Banken, an Immobilienspekulation und  Landgrabbing. Doch die Propheten jammerten nicht, sie klagten an und versuchten den falschen Lauf der Dinge zu unterbrechen. Es muss nicht so bleiben wie es ist. Es muss nicht so weitergehen, wie bisher. "Man" könnte auch anders: 

Maria preist Gott (Der Lobgesang Marias: Magnificat) Lukas 1, 46 ff
Maria aber sprach:
»Mein Herz preist den Herrn, alles in mir jubelt vor Freude
über Gott, meinen Retter!
Ich bin nur seine geringste Dienerin, und doch hat er sich mir zugewandt.

Jetzt werden die Menschen mich glücklich preisen
in allen kommenden Generationen;
denn Gott hat Großes an mir getan, er, der mächtig und heilig ist.
Sein Erbarmen hört niemals auf;

er schenkt es allen, die ihn ehren, von einer Generation zur andern.
Jetzt hebt er seinen gewaltigen Arm und fegt die Stolzen weg samt ihren Plänen.
Jetzt stürzt er die Mächtigen vom Thron und richtet die Unterdrückten auf.
Den Hungernden gibt er reichlich zu essen und schickt die Reichen mit leeren Händen fort.
Wie er es unsern Vorfahren versprochen hatte, Abraham und seinen Nachkommen
für alle Zeiten.«

Eine "große Idee", oder?
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Ein anderes Wort für "Große Idee" ist vielleicht auch "Vision".
Die evangelisch Theologie Dorothee Sölle (1929-2003) schreibt:

»Der Begriff Vision war mir aus dem deutschen Sprachgebrauch eher fremd; als mich in USA jemand fragte, was denn meine Vision sei, geriet ich ins Stottern. Langsam lernte ich, dass dieses Wort in Nordamerika zum großen Erbe der Befreiungsgeschichte gehört.
"Ein Volk ohne Vision geht zugrunde" heißt es in der Bibel. (Sprüche Salomos 29,18)

Sheila erzählt mir dass sie
ostersonntag mal wieder zur kirche ging
sie wollte wissen denk ich mir
ob wir gründe haben
an die auferstehung zu glauben
aus dem tod in dem wir jetzt sind


Ihre methode war einfach
sie las keinen alten text vor
sie passte nicht sonderlich auf
sie fragte die teilnehmer einfach
wie denn die andere welt aussehen soll


Das schlimme sagt Sheila war nicht das lange schweigen
man hat den Leuten das reden so lange verboten
das schreckliche war was dann kam
an liebe und solchem gerede
da war keine vision sagt sheila
sie hatten nichts konkretes zu wünschen 


Meinst du nicht werfe ich ein
dass es nur ein sprachproblem war
aber das ist es doch sagt sie bestürzt
ohne vision das volk gottes ohne sprache
Und wenn mich etwas tröstet
in diesem gespräch nach ostern
und vor der ausgießung des geistes
dann war es die trauer in sheilas stimme
und der schmerz in ihren augen


• Aus: D. Sölle, Spiel doch von brot und rosen. gedichte, Berlin 1981

Vielleicht sollte ich in diesem Zusammenhang die größte Vision, die ich kenne und ohne die mir jede andere zu klein wäre, nennen: Jesus hat sie "Reich Gottes" genannt. «

(Dorothee Sölle im angegeben Buch, Kapitel 1)
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