Montag, Februar 12, 2018

Die GroKo und Lenin; die Krise der SPD und Nahles; nebst August Bebel


Gemeinsam "was" bewegen. - Aber was?
  • Aktuell, Mitte Februar 2018, sagen die Prognosen von INSA und Infratest dimap, bekäme die SPD bei einer Bundestagswahl 16-17% der Wählerstimmen (statt 20,5 bei den Bundetagswahlen im September 2017, das waren damals 9.539.381 Zweitstimmen).
  • Das entspäche heute, bei gleicher Wahlbeteiligung, noch etwa 7,5 Millionen Zweitstimmen.

Immer noch ist die SPD die mitgliederstärkste deutsche Partei mit ca. 450.000 Mitgliedern.

Quelle

Es war einmal im Deutschen Kaiserreich: Die stärkste der Partei`n.
Seit 1869 gab es die von August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Oftmals wird das Jahr 1875 als das eigentliche Konstituierungsdatum genannt, als am Ende des Vereinigungsparteitages vom 22. bis 27. Mai in Gotha sich der ADAV und die SDAP zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) zusammenschlossen.[Wikipedia]

Die frisch vereinigte Sozialdemokratie hatte
  • 1876 38.000 Mitglieder
  • nach der Aufhebung der Sozialistengesetze 1890 schon 100.000, 
  • 1907 ca. 500.000 
  • und 1914, vor dem Ersten Weltkrieg, fast 1,1 Millionen.

Wähler hatten die Sozialdemokraten:
  • 1877 eine halbe Million
  •  1890 1,4 Millionen
  • und 1912 fast 4,3 Millionen.
(Wählerinnen gab es im Deutschen Reicherst ab 1918.)

Damit waren die Sozialdemokraten im Deutschen Reich - und auch in ganz Europa - sowohl nach Mitgliedern als auch nach Wählerstimmen die größte aller Parteien, in großen Städten wie Hamburg oder Berlin bekam sie am Ende sogar 50% bzw. 60% der Wahlstimmen.

  • Warum? (Siehe auch unten, Bebel). 

Im ersten Entwurf des Erfurter Programms von 1891 stand aus taktischer Rücksichtnahme noch nicht einmal die Forderung nach Sturz der Monarchie und nach einer demokarischen Republik, was Friedrich Engels sehr ärgerte, denn nur mittels der einen und ungeteilten Demokratischen Republik können "unsere Partei und die Arbeiterklasse ... zur Herrschaft kommen".

»Die tiefste Bindekraft der deutschen Sozialdemokratie lag aber vielleicht darin, dass die Zauberformel vom "wissenschaftlichen Sozialismus" als ein universeller Deutungskosmos fungierte, der es jedem halbwegs geschulten Parteimitglied erlaubte, von einem "archimedischen Punkt" aus das gesellschaftliche Ganze zu überblicken - um, wenn die Zeit gekommen war, in einer großen entscheidenden Befreiungsaktion des Weg in eine bessere Zukunft zu bahnen. Und diese Zeit schien nahe. [...]

Der eigentliche Haltepunkt dieser übergroßen Zuversicht waren die immer neu aufgefrischten Prognosen eines "Großen Kladderadatsch", vom dem August Bebel erstmals auf dem Exil-Kongress der Partei in Sankt Gallen 1878 gesprochen hatte, der finalen Krise der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, nach der nur noch der sozialistische "Zukunftsstaaat" kommen könne - den er (entgegen den Marx`schen  Bilderverboten) immer lebhafter ausmalte [...] als eine sinnliche, handfeste, aus dem Material der Gegenwart und den Alltagsbedürfnissen der Menschen geschöpfte Vorstellung.« [Quelle: Koenen, Die Farbe rot, Teil VII/3]

Bildquelle
FESTGESANG DES WIENER ARBEITERBILDUNGSVEREINS 1873

O Wissensmacht, füll` unsern Bund
Mit deiner ganzen Stärke,
Und gib dich unbesiegbar kund
In uns`rem großen Werke!
Sei uns`re Rüstung, unser Schild
Und uns`rer Waffen Schärfe,
Daß unser Arm das Götzenbild
Der Zeit in Trümmern werfe. 


Anders als "damals": 
  • Es fehlt der Sozialdemokratie und "der" Linken heute die große Erzählung, das Narrativ
Die "Wissensmacht" - 
Das war der "wissenschaftliche Sozialismus" von Karl Marx & Friedrich Engels
("Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", geschrieben bis März 1880, 1882 erstmalig veröffentlicht in deutscherSprache),
der die Gewissheit verschaffte, dass der Lauf der Weltgeschichte gesetzmäßig zum Sozialismus führen werde.
____________________________


Deutschland 1997
»Als Juso-Vorsitzende brüllte Andrea Nahles 1997, die „Neoliberalen in der SPD von Clement bis Schröder“ müssten politisch kaltgestellt werden. Aber sie legt in diesen Jahren gleichzeitig das Fundament für ihre Karriere – und sammelt Kontakte. Nahles ist in der Partei bestens vernetzt... .« [Quelle]  
Deutschland 2009:
»SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat in ihrem neuen Buch mit der ehemaligen Parteiführung abgerechnet. Altkanzler Schröder habe mit der Agenda 2010 den SPD-Anspruch, "eine ausgleichende Modernisierungspartei" zu sein, aufgeben. Ex-Parteichef Müntefering sei im Wahlkampf 2009 ein regelrechter Wählerschreck gewesen.[...]

Die neue SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles hat in scharfer Form mit dem Kurs von Gerhard Schröder und Franz Müntefering abgerechnet. Die Politik des früheren Kanzlers und des ehemaligen Parteichefs habe die SPD in die Krise geführt, schreibt Nahles in ihrem neuen Buch. Von diesem "Ballast der Vergangenheit“ müsse sich die SPD rasch befreien.

Nach Überzeugung der 39-Jährigen liegen die Ursachen für die anhaltende Misere der Partei „maßgeblich“ in Schröders Reform-Agenda 2010. Mit diesem Konzept habe die SPD ihren Anspruch aufgegeben, „eine gestaltende, ausgleichende Modernisierungspartei“ zu sein. Sie habe stattdessen mit der Agenda einseitig neoliberale Positionen zur „Entfesselung von Marktkräften“ übernommen. „Der oberlehrerhafte Ton, mit dem wir den Menschen die Alternativlosigkeit unseres Handelns schmackhaft machen wollten, hat das alles nicht besser gemacht.“ ...

Die Schablonen der Neoliberalen zu variieren, führt nicht zum Dritten Weg der Sozialdemokratie, sondern zum Verzicht auf eigene Gestaltungsmacht“, hält sie dem Ex-Kanzler entgegen. Nach Nahles' Ansicht wurde die von Müntefering in der großen Koalition durchgesetzte Rente mit 67 „zum Synonym für die endgültige Abwendung der SPD von den Gefühlen und Problemen der kleinen Leute“. Diese „von oben verordnete Erhöhung des Rentenalters für alle“ sei denkbar ungeeignet gewesen, die Rentenkassen langfristig zu sichern. «
 Quelle
Springer-Verlag,
15.08.2007
3. Auflage 2016
Deutschland 2018

Der Ex-Sozialdemokrat, Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge trat im Jahre 1970 in die SPD ein, wurde 1974 von der Bezirkskonferenz Westliches Westfalen in den Juso-Bezirksvorstand gewählt und 1975 aus der SPD ausgeschlossen.
Am 1. Januar 1987, nachdem sich Gerhard Schröder, der mit ihm bei den Jungsozialisten auf Bundesebene zusammengearbeitet hatte, persönlich für ihn eingesetzt hatte, wurde er wieder in die SPD aufgenommen.
Weil er fürchtete, die Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel werde die Reformpolitik gegen die „kleinen Leute“ und den Sozialstaat verschärft fortsetzen, trat Butterwegge am 18. November 2005 – als CDU, CSU und SPD in Berlin den Koalitionsvertrag schlossen – aus der SPD aus und blieb seitdem parteilos. [Quelle]

 ____________________________________ 


Christoph Butterwegge am 9.2.2018 in einem Interview:
»Die SPD droht an Fehlern aus der eigenen Vergangenheit zu scheitern.
Nicht die Großen Koalitionen von 2005 und 2013 sind für den Niedergang der SPD verantwortlich,
sondern ihre „Agenda“-Politik, die im Bündnis mit der Union modifiziert fortgesetzt wurde.
SPD-Sonderparteitag 21.01.2018
Quelle: phoenix/youtube Screenshot
Dass die SPD nach 1998 die Hälfte ihrer Wähler verloren hat, ist einerseits der Enttäuschung vieler Menschen über ihre Regierungspraxis geschuldet – und andererseits der Tatsache, dass sie ihre Stammklientel, die damals noch aus Facharbeitern bestand, durch eine Prekarisierung der Arbeitswelt mit zerstört hat.
Unter dem Damoklesschwert von Hartz IV akzeptierten Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften schlechtere Arbeitsbedingungen und sinkende Löhne. Heute ist der Niedriglohnsektor, in dem fast ein Viertel aller Beschäftigten tätig sind, das Haupteinfallstor für Erwerbs-, Kinder- und spätere Altersarmut.[...]
Statt die pragmatische Linie des Regierungsflügels von Helmut Schmidt über Gerhard Schröder zu Martin Schulz fortzusetzen,muss sich die Partei wieder in die Tradition von August Bebel und Willy Brandt stellen.
Brandt hat es mit seiner Ost- und Entspannungspolitik, dem Versprechen, mehr Demokratie wagen zu wollen, und dem Programm der inneren Reformen seinerzeit geschafft, aus einer Juniorpartnerschaft mit der Union heraus den Regierungs- und Politikwechsel herbeizuführen.
Anders als damals verkörpert die SPD heute keine überzeugende Alternative zu den übrigen Parteien. Was sie braucht, sind neue Köpfe mit fortschrittlichen Ideen. [...] « [Das ganze Interview & Quelle]
______________________________ 

Butterwegge (Jg. 1951) und Nahles (Jg. 1970)
scheinen in vielen Punkten Geschwister im Geiste zu sein, was die SPD, Ex-Kanzler Schröder und den Neoliberalismus in der SPD betrifft. Allerdings meint Butterwegge trotzdem:
"Was sie [die SPD] braucht, sind neue Köpfe mit fortschrittlichen Ideen. Eine politische Aufbruchstimmung verbreiten weder Olaf Scholz noch Andrea Nahles, die beide schon SPD-Generalsekretär/in und Minister/in in einer Großen Koalition waren." 
August Bebel (1840-1913) und Willy Brandt (1939-1992) sind tot.
Zumindest physisch. Brandt liegt begraben auf dem Waldfriedhof in Berlin Zehlendorf und Bebel auf dem Sihfeld-Friedhof in Zürich-Wiedikon.





















______________________________


Die Wikipedia-AutorInnen schreiben:
"Bis zu seinem Tod blieb Bebel der allseits anerkannte Führer der deutschen Sozialdemokratie. Auch innerhalb der Sozialistischen Internationale genoss Bebel ein weltweites Ansehen, wie es nach ihm als deutscher Sozialdemokrat wohl nur noch Willy Brandt erreichte."
Bebel:
Zeitgenosse von Karl Marx, Friedrich Engels, Kaiser Wilhelm II. und Bismark, Handwerker, Fabrikant, Hersteller von Tür- und Fensterklinken, zeitweise Mitglied des Sächsischen Landtages, des Deutschen Reichstages, begnadeter Redner, "der rabiate August", Autor von "Die Frau und der Sozialismus", "Arbeiterkaiser", großer Vereinfacher und Popularisator, Volkstribun, vor Gericht als Hochverräter. Er ernannte "Das Kapital" von Karl Marx zur "Arbeiter-Bibel".
"Schließlich ist die SPD zur Massenpartei geworden, weil ein Volkstribun wie August Bebel mit [...] Wortgewalt die soziale Ungerechtigkeit des frühen Industriekapitalismus, die Kriegsabenteuer des Imperialismus und die Selbstherrlichkeit des kaiserlichen Halbabsolutismus geißelte [...]" 
August Bebel und Wilhelm Liebknecht waren die letzten Inhaftierten im Schloss Hubertusburg in Nordsachsen, das Bebel als seine "Haftuniversität" bezeichnete.























_________________________________ 

Fortsetzung folgt.
- Aber erst in einem separaten Post - Sonst wird dieser Post zu lang ...

Was hat die GroKo 2017/18  mit Lenin 1917 zu tun ?

Der Sozialdemokrat Lenin und die GroKo im Russischen Reich 1917.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR), wurde 1898 in Minsk gegründet.

9 Personen aus 6 verschiedenen Gruppen vereinigten sich zu einer Partei.
Eine der 6 Mitgliedsorganisationen war auch der "Bund", d.h. der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland.

  • 1903, auf dem II. Parteitag, hatte die Partei 5000 Mitglieder. Der Parteitag musste im Geheimen in Brüssel beginnen, 
  • wurde ausgewiesen, 
  • deshalb in London fortgesetzt. 
Die Partei spaltete sich dort in zwei Flügel, die Menschewiki (= die Minderheitler, die aber eigentlich die Mehrheit innerhalb der Partei stellten)
und die Bolschewiki (= Mehrheitler, die aber in der SDAPR stets in der Minderheit waren -
außer bei einer wichtigen Abstimmung zur Parteifrage auf eben diesem II. Parteitag 1903 , bei dem der Flügel um Lenin die Mehrheit hatte. Genauer gesagt: 24 zu 22 Stimmen, aber nur deshalb, weil der Jüdische Bund (s.o.) den Parteitag vorzeitig verlassen hatte.

Seitdem hatte die SDAPR zwei Flügel, (B) und (M), blieb aber vorerst noch eine Partei. - Anders als in Deutschland 2007, als sich dort "Die Linke" als separate Partei gründete.

"Programmatisch waren sich beide Flügel der SDAPR 1903 einig:

Die SDAPR verstand sich als marxistische Partei, die nach einer Revolution der Industriearbeiter eine Diktatur des Proletariats errichten wollte, die in eine klassenlose Gesellschaft münden sollte." -


1918, also erst nach der so genannten  Oktoberrevolution in Russland, wurde der bolschewistische/leninistische Flügel der Sozialdemokratische Arbeiterpartei Russlands (SDAPR/(B) in Kommunistische Partei Russlands (Bolschewiki) = KPR (B) umbenannt. [Quelle] 

Oktober-Revolution?
Die eigentliche Revolution (Abdankung des Zaren) fand 1917 im Februar statt, nicht im Oktober/November 2017.
Lenin hatte die Februar-Revolution 2017 (heutige Zeitrechnung: am Weltfrauentag 8. März 2017 und in den Tagen danach) verpasst (da war er noch in Zürich und kam erst im April 2017 nach Petersburg zurück -  in dem berühmten Zug, finanziert vom Deutschen Kaiser).

Ebenso hatte er schon die Revolution vom Januar1905 verpasst (er kam erst im Herbst in Petersburg an).
"Nach dem Petersburger Blutsonntag und der durch ihn ausgelösten Revolution von 1905 stimmte Zar Nikolaus II. im Oktobermanifest der Schaffung einer Staatsduma als zweiter Kammer neben dem Reichsrat zu. Dieses erste gesamtrussische Parlament wurde vom 26. März bis 20. April 1906 gewählt. Während die sozialistischen Parteien die Wahl boykottierten, setzten die liberalen Reformer große Hoffnungen auf die erste Duma, die im Taurischen Palais tagte.

Quelle
Die Vorgänge im Oktober 2017 (nach heutiger Zeitrechnung November 2017) waren eher ein Handstreich, ein Putsch, ein Staatsstreich  oder wie man es auch nennen mag: 

Lenin ließ die Regierung Kerenski - ohne großen Widerstand - im Winterpalais verhaften [einen Sturm auf das Winterpalais gibt es nur im Stummfilm von Sergej Eisenstein aus dem Jahre 1928] und bestimmte selber eine neue Regierung.
Kerenski selber hatte zu diesem Zeitpunkt schon das Weite gesucht, manche Quellen sagen: In Frauenkleidern als Krankenschwester verkleidet. - Auch Lenin selber bewegte sich in Petersburg meistens verkleidet als Matrose oder Arbeiter. Kaum jemand hat ihn je in der Öffentlichkeit live gesehen, außer bei seiner Rückkehr aus der Schweiz und seinem Empfang auf dem Bahnhof in Petersburg im April 2017. ... Da wurden die oft gezeigte und gesehene Szene aufgenommen, die wohl viele Menschen kennen.

Siehe auch
Nicht ohne Reiz: Lenin und Kerenski waren zeitweise Schulkameraden gewesen. Beide gingen auf dieselbe Schule in Simbirsk,

Quelle
deren Direktor zu der Zeit Kerenskis (sehr konservativer) Vater war und dessen Schulrat (der progressive) Vater Lenins war.  ---- Ob jemand die Psychodynamik dieses Vorgangs schon untersucht hat, weiß ich nicht.