Montag, Januar 12, 2015

Satire darf alles - Aber ich bin nicht Charlie Hebdo. Von Bilderverbot und Mohammed-Zeichnungen

»Charlie Hebdo
ist eine französische Satirezeitschrift. Der Name „Charlie“ stammt von der Comicfigur Charlie Brown von den „Peanuts“ und verweist auf die Ursprünge der Zeitschrift im Bereich der Comic-Magazine bzw. Charles de Gaulle.
„Hebdo“ ist die im Französischen geläufige Abkürzung für hebdomadaire (dt. Wochenzeitschrift, Wochenblatt).« [wikipedia]

Warum Charles de Gaulle?
"Als de Gaulle 1970 in seinem Heimatdorf Colombey starb, gestalteten sie einen Titel: „Tragischer Tanzabend in Colombey – ein Toter.“ Das bezog sich auf eine Katastrophe, die kurz zuvor in einer Disko passiert war. Der damals regierende Georges Pompidou ließ das Magazin verbieten. Die heilige Kuh de Gaulle durfte man nicht auf die Schippe nehmen. Daraufhin benannten sie sich in Charlie Hebdo um."

(Quelle: Daniel Cohn-Bendit)


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Quelle: taz vom 10./11. Januar 2015

Ja, Satire darf alles, - sagte Tucholsky:
"Die echte Satire ist blutreinigend: und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen starken Teint. Was darf Satire? Alles." - Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1973, S. 119

"Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an. ... Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten. […] Was darf die Satire? Alles." Berliner Tageblatt, Nr. 36, 27. Januar 1919

Nein, Satire hat Grenzen, - sagte Tucholsky:
"Satire hat eine Grenze nach oben:
Buddha entzieht sich ihr.
Satire hat auch eine Grenze nach unten:
In Deutschland etwa die herrschenden faschistischen Mächte.  Es lohnt nicht – so tief kann man nicht schießen." - 
Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1973, S. 11

Nur mit dem Zitieren von Tucholsky ist uns also auch nicht weiter geholfen ... - Wenn sich für Tucholsky Buddha der Satire entzieht, würden sich ihm dann nicht auch Mohammed und Jesus der Satire entziehen?
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Es wäre vermessen, 
wenn ICH sagen würde, ICH sei Charlie. Denn das bin ich sicher nicht.
Warum nicht?
  • Ich bin nie so öffentlich und so mutig für die Meinungsfreiheit, die Freiheit der Satire und der Religionskritik eingetreten, dass  ich Bombendrohungen von irgendjemand auf mich gezogen hätte. Nein, so tapfer bin ich nicht.
  • Und ich finde wohl auch, dass die Pressefreiheit ein hohes Gut ist und Satire alles sagen dürfen sollte. - Doch gäbe es für mich persönlich auch Grenzen des guten Geschmacks, des Anstandes, des Respektes. 

Quelle: taz 10./11. Januar 2015

Wenn Tucholsky meint, 
dass Buddha sich der Satire entzieht, wenn die KubanerInnen meinen, dass Fidel Castro als Person sich der Satire entzieht, dann hat das ja (auch in Kuba nicht unbedingt) damit zu tun, dass man als Satiriker dafür bestraft würde, diese Personen zu karikieren.
Die New York Times und die Washinton Post haben "Wegen ihres absichtlich beleidigenden Inhalts" darauf verzichtet, "diese höchst kontroversen Bilder", also die Mohammed-Karikaturen von Charlie Hebdo, zu zeigen. Und andere große Medien sind dem gefolgt. - Nicht aus Angst vor Anschlägen.
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Freiheit wovon? > Freiheit wozu!?
Freiheit von Presszensur. Ja. Von diesem Joch sollte die Presse befreit werden.
Und dann?
Wozu nutze ich meine (Presse-) Freiheit? Zur Verbreitung von Respekt und Toleranz? Oder zur Verbreitung von Hass?
»Frei nennst du dich?
Deinen herrschenden Gedanken will ich hören und nicht, daß du
einem Joche entronnen bist.
Bist du ein Solcher, der einem Joche entrinnen d u r f t e? Es gibt manchen, der seinen
letzten Wert wegwarf, als er seine Dienstbarkeit wegwarf.
Frei wovon? Was schiert das Zarathustra! Hell aber soll mir dein Auge künden: frei
wozu?« 

(Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 1883, Teil 1: Vom Wege des Schaffenden)

»Wer seine Schranken kennt, der ist der Freie,
wer frei sich wähnt, ist seines Wahnes Knecht. «

aus "Libussa" von Franz Grillparzer (1791 - 1872).
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Irrtum: In der abgesperrten Nebenstraße. "Vor allem aber wird der Marsch der Millionen in Paris dafür stehen, wie die Weltgemeinschaft unmittelbar reagiert hat.
Es wird das Bild von den 44 Regierungschefs, die inmitten der Massen Arm in Arm marschieren...". -

So oder ähnlich schrieben viele JournalistInnen ihren Kommentar zu diesem Bild. -
Später zeigten andere Aufnahmen, dass es sich um einen Fototermin in einer abgesperrten Nebenstraße in Paris handelte. Nicht umgeben von Massen; dabei waren nur Fotografen und Sicherheitsleute. Nach dem Termin seien alle, bis auf die französischen Politiker, wieder ins Auto gestiegen.
Ja, es ist ricntig, gegen TerroristInnen zu demonstrieren und/oder um die Opfer öffentlich zu trauern. Es tut gut, wenn sich - wie in Paris - über 1 Million Menschen zusammenfinden, zusammenstehen, zusammen schweigen und ihre Solidarität mit der Pressefreiheit und gegen Terrorismus bekunden.

Und darüber sollte man den Satz des evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer nicht vergessen, der wegen seiner Unterstützung des Widerstandes gegen den Nazi-Terror 1943 im Gefängnis in Berlin landete, dort diesen Satz schrieb,  und 2 Jahre später im KZ Flossenbürg erhängt wurde:
"Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen."
Ich verstehe ihn heute so: Nur wer gegen jeglichen Terrorismus und alle TerroristInnen demonstriert - den Terrorismus gegen die eigenen BürgerInnen und gegen den, den das eigene Land in anderen Ländern fördert oder ausübt -  darf auch gregorianisch singen. 
Quelle
Sonst wird es scheinheilig.

Ich möchte nicht näher darauf eingehen, aber daran erinnern:
Der regierungsunabhängige Think-Tank New America Foundation gibt die Zahl der Drohnentoten seit 2004 mit bis zu 3200 Menschen an. Bei zwischen 18 und 23 Prozent der Getöteten habe es sich um zivile Opfer gehandelt. "Erwachsene Männer, die ihrem Tagewerk nachgehen, waren regelmäßig Opfer solcher Angriffe", heißt es in einer Anklage der Vereinten Nationen.[Quelle]
Terrorismus? Kollateralschaden?
Der katholische Theologe Eugen Drewermann sagte jüngst dazu:
" Kein Drohnenangriff, den die Amerikaner fliegen, ohne dass er koordiniert würde im deutschen Ramstein. Alle wissen das, aber es ist dringend nötig diese missbräuchliche Firm, einen deutschen Stützpunkt zu benützen, zu denunzieren und abzuschaffen."
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Und wer darf nun Charlie sein?

Bernard Holtrop 
ist 73 Jahre alt, Zeichner von Beruf, und hat das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo überlebt, weil er nicht vor Ort war. Die Mörder hatten am vergangenen Mittwochvormittag auch nach ihm gerufen.
„Ich gehe nie auf Redaktionskonferenzen“, sagt er und wundert sich über den überwältigenden Zuspruch für sich und seine Zunft:
„Wir haben viele neue Freunde wie den Papst, Königin Elisabeth oder Putin.“
Sie alle und „wir“ auch, scheint es, „sind“ plötzlich „Charlie“.
Seine emotionale Überwältigung angesichts der weltweiten Anteilnahme fasste Holtrop in treffende Worte:
„Wir kotzen im Strahl auf all diese Leute, die auf einmal unsere Freunde sein wollen.“ Quelle
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Ja: 

Hier weint Mohammed: "Es ist schrecklich,
von Idioten geliebt zu werden".

Kuss zwischen einem Moslem und einem
Charlie-Zeichner: "Liebe ist stärker als Hass".
Der Prophet Mohammed (?) weint über die Opfer
des Attentates auf die Redaktion von Charlie Hebdo,
solidarisiert sich mit ihnen
und verzeiht alles. -

Bei der Anfertigung dieser Zeichnung hat
der Zeichner selber Tränen in den Augen gehabt,
berichtete er. - Eine Zeichnung, die ungewollt(?)
zugleich zutiefst christlich ist.
Sagte nicht auch (der Prophet) Jesus:
"Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt,
das habt ihr mir getan!" ---
Warum
regen sich einige (str)enggläubige Moslems
auch über diese Zeichnung auf?
Die Antwort steht weiter unten. 

Ali Dilem, "der bekannteste Karikaturist Nordafrikas, der Charlie-Redaktion eng verbunden sagt:

»Die Religion und Mohammed sind zwei unterschiedliche Dinge. Sie können mir glauben, dass ich so weit gegangen bin, wie dies beim Thema Religionen nur irgendwie möglich ist. Ich habe Zeichnungen veröffentlicht, die dazu geführt haben, dass ich von Religiösen in der Moschee mit einem Todesurteil belegt wurde. Aber Mohammed ist etwas anderes.« 
Wieso?

»Als jemand, der aus der muslimischen Kultur kommt, kenne ich meine Gesellschaft. Ich weiß sehr wohl, wo ich mich bewege. Wenn ich eine Zeichnung über Mohammed anfertigen würde, würde meine Zeitung dies nicht veröffentlichen. Und wenn sie es doch täte, würde heute im Zeitalter von Internet meine Lebenserwartung auf wenige Minuten zusammenschrumpfen, solange ich in Algier bin.
Außerdem
will ich die Menschen nicht schocken oder in ihrem Glauben verletzen. Das ist nicht meine Art. Es ist immerhin die Religion meiner Mutter und meiner Schwestern.«
[Quelle
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Das Bilderverbot in der Bibel und in den monotheistischen Religionen

Im 2. Buch Mose, Kapitel 20 Vers 1-5, heißt es in der Hebräischen Bibel, dem "Alten Testament" des Christentums:
»Und Gott redete alle diese Worte: Ich bin der HERR, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.
Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht!«
Anthony Quinn als Hamza,
Mohammeds Onkel und Gefährte,
*567; †625.
Im Kern ging es historisch zur Zeit des Moses
 (ca. 1250 v.Chr.) darum:
Wer sich keine Bilder anfertigt, der kann auch keine Bilder anbeten, denn der Gott in den 3 monotheistischen Religionen ist ein unsichtbarer ideeler Gott, von dem man sich daher kein Bild machen kann. -

Das Christentum hat dieses Bilderverbot schon lange abgeschafft (obwohl es in der Bibel in den 10 Geboten steht!), Judentum und Islam halten das Gebot im sakralen Raum (Moscheen und Synagogen) seit ihrem Bestehen ein: In Moscheeen und Synagogen gibt es (i.d.R.) weder Bilder von Menschen noch von Tieren; nur Schriftzeichen (Kalligrafie) und Symbole.


(Str)eng-gläubige Moslems
lehnen es zudem ab, das Gesicht Mohammeds zu zeichnen oder in einem Spielfilm zu zeigen. In dem berühmten Spielfilm "Mohammed - Der Gesandt Gottes" (1977) wird Mohammed stets von hinten gezeigt oder nur sein Kamel oder nur sein Stab.  -
So ist es auch zu verstehen, dass sich manche(!) MuslimInnen selbst dann beschweren, wenn die Mohammed-Zeichnung eine positive Aussage über Mohammed macht. 

Kalligrafie: Es gibt nur einen Gott,
und Mohammed ist sein Prophet.
Abu Bakr (573-634, rechts) Mohammeds erster Anhänger und zugleich sein Schwiegervater,
schützt Mohammed (ca. 570-632,links) vor Steinwürfen seiner Gegner. -
Wie in fast allen islamischen Darstellungen ist das Gesicht des Propheten verhüllt.
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