Montag, April 17, 2017

Türkei-Referendum. "JA Sager sollten zu ihrem Gott in die Türkei und uns verlassen"

A) Das Wahl-Ergebnis (Stand 17.4.2017)
  • In Deutschland hat keine Mehrheit der TürkInnen mit JA gestimmt. Nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu votierten 63 Prozent WählerInnen in Deutschland mit JA. Das bedeutet: Bei einer Wahlbeteiligung in Deutschland von 48,7% haben knapp 31% der 1,4 Millionen wahlberechtigten in Deutschland lebenden türkischen StaatsbürgerInnen für die Verfassungs-Änderung Erdogans gestimmt. 
  • Deutlicher fiel das Ergebnis in Belgien, Österreich und den Niederlanden für Erdogan aus, wo rund 70 Prozent der abgegebenen Stimmen für die Verfassungs-Reform stimmten . -
  • In den USA und in Spanien dominierte dagegen das NEIN-Lager mit etwa 80 Prozent der abgegebenen Stimmen. 
  • In der Türkei hat Erdogan insgesamt 1,3 Millionen mehr (z.T. noch umstrittene) JA-Stimmen als NEIN-Stimmen bekommen. Gewonnen hat er im islamischen-konservativen Anatolien und im europäischen Ausland,
    verloren in den Metropolen Ankara, Istanbul, Izmir, in den Städten Adama, Antalya und Mersin, an den Küsten des Marmara-Meeres, der Ägäis und des Mittelmeers.


B) Ein deutscher Kommentar:
"JA Sager sollten zu ihrem Gott in die Türkei und uns verlassen"

C) Wer ist der Gott der türkischen WählerInnen?
"Der größte Teil der Muslime sind Sunniten, gefolgt von Aleviten, die jedoch in offiziellen Statistiken nicht eigens gezählt, sondern nominell als Muslime verzeichnet werden und deren Anteil unterschiedlich geschätzt wird (siehe unten). Zu erwähnen sind noch die Alawiten (Nusairier) und eine vor allem im Osten der Türkei angesiedelte schiitische Minderheit. Zu den religiösen Minderheiten zählen weiterhin Christen verschiedener Konfessionen, Juden, Bahai, Jesiden, Karäer u. a. Die Minderheitenpolitik der Türkei ist – gerade auch im Zusammenhang der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union – politisch sehr umstritten. Die Türkei zählt zu den wenigen mehrheitlich muslimischen Staaten, in denen das islamische Recht – die Scharia - nicht gilt. [Quelle]  

D) "Sind Allah und der christliche Gott die selbe Person?"
"Liebe evangelische Kirche,
wir müssen in Religion eine Präsentation zu der Frage "Sind Allah und der christliche Gott die selbe Person?" machen. Könnten sie uns eventuell einige Informationen oder Internetseiten nennen, über die wir etwas herausfinden können? Oder noch allgemeine Informationen über Allah und christlicher Gott. Vielen herzlichen Dank schon im Vorraus" (sic!)
Marco 7. September 2012

E) Die "99 Schönen Namen Gottes" im Islam:



F) Warum haben Deutsch-TürkInnen mit JA gestimmt?
  • Daimagüler: "In meiner Kindheit mussten wir jedes Jahr wie Bittsteller in den Ausländerbehörden anstehen und um unsere Aufenthaltsgenehmigung bangen. Und in der Türkei wollte man uns auch nicht zurückhaben. Erdogan war der Erste, der sich für die Auslandstürken interessiert hat. Die Generalkonsulate wurden zu freundlichen Orten, wo es Infocenter und Kaffeeautomaten gab. Die Auslandstürken erhielten »blaue Karten«, die ihnen wichtige Rechte sicherten: Bis 2008 war Erdogan ein guter Politiker." (Mehmet Daimagüler, geboren 1968 als Sohn türkischer Gastarbeiter in Siegen, arbeitet als Rechtsanwalt in Berlin. Er schrieb das Buch »Kein schönes Land in unserer Zeit« über seine Erfahrungen als Gastarbeiterkind. Daimagüler vertritt Nebenkläger im NSU-Prozess. Quelle: Publik Forum) 
  • „Hier stimmen alle dafür“, sagt Hakan aus Mannheim Jungbusch und meint die Verfassungsänderung. Er trinkt Kaffee in der Bäckerei, die sich im Erdgeschoss der Moschee befindet. Hakan ist froh, dass Erdoğan den Islam stärkt. Seine Frau, die Lippen so rot geschminkt wie die Farbe ihres Kopftuchs, steht neben ihm und nickt. Ab und zu sagt sie etwas auf Türkisch, ihr Mann übersetzt. - Hakan ist 42 Jahre alt, er ist in Deutschland geboren. „Ich bin Türke“, sagt er trotzdem. Die Politik habe Integration mit Assimilation verwechselt. Er erzählt, wie ein Lehrer zu seinem Sohn gesagt hat, Erdoğan sei ein Diktator. „Was sull dan des?“, fragt er empört.
    Man könne mit Deutschen nicht mehr diskutieren. Meinungsfreiheit bedeute, dass man so denken müsse wie die Deutschen, sagt Hakan, aber „meine Seele lebt in der Türkei“. Trotzdem: Zurück will Hakan nicht, er fühlt sich wohl in Mannheim.
    „Weil hier so viele Ausländer wohnen.“
    Warum stimmt er dann für ein System, in dem er selbst nicht leben möchte?
    „Wir wissen, was für uns das Beste ist“, sagt er. (Quelle)  
  • Nazan Kapan: „Erdoğan ist das Sinnbild vom anatolischen Jungen, ein Symbol für Rückständigkeit. Dieser anatolische ‚Bauer‘ ist auch nach Deutschland eingewandert. Die Politik hat nicht verstanden, dass diese Menschen bleiben werden.
    Ich kenne das permanente Abgewertet-Werden“, sagt sie, als Frau, als Türkin, als Muslimin. "Du als Türkin verstehst das nicht", die Grundschullehrerin sagte es zu ihr und sie hört es bis heute immer wieder.

    Für viele Deutschtürken seien solche Erfahrungen ein Grund, für die Verfassungsänderung zu stimmen. „Menschen, die sich permanent in dieser Benachteiligung definieren, suchen nach einer klaren Führungspersönlichkeit.“ Sie selbst stimmt mit Nein, auch wenn sie dafür knapp 70 Kilometer zum Generalkonsulat nach Karlsruhe fahren muss.
    (Nazan Kapan. Die 55-Jährige ist SPD-Mitglied und Gemeinderätin in Mannheim, ihr Vater war einer der ersten Gastarbeiter, sie kam als Kind aus der Türkei hierher. Sie glaubt, Mannheim sei toleranter als andere Teile Deutschland. „Hier ist Vielfalt doch Normalität.“ Trotzdem würde sich jetzt, vor dem Referendum, die Kurzsichtigkeit der damaligen Integrationspolitik offenbaren. Quelle: Gazete)
Hans-Christian Ströbele:
  • Frage; Dieser Tage geht unser Blick in die Türkei. In dem Land gibt es Mitte April ein Referendum über ein Präsidialsystem. Steht die Türkei auf der Schwelle zur Diktatur? 
  • Herr Ströbele: Auf jeden Fall auf der Schwelle zu einem autoritärem und nicht demokratisch-kontrolliertem Regime. Wichtige Institutionen, wie zum Beispiel das Parlament, sind kein unabhängiges Organ mehr, sondern der Willkür des Präsidenten ausgesetzt. Wir erleben aktuell Rechtsverstöße, die völlig ungeahndet bleiben und nicht mal im Parlament und in den Medien problematisiert werden können. Das lässt schlimmes fürchten. Es gibt Leute die sagen, dass Erdogan friedlicher wird, wenn er erst einmal die ganze Macht hat, aber das kann auch täuschen.



    Es sind viele Fehler im Verhältnis zur Türkei gemacht worden.
    Die europäische Perspektive hätte man viel deutlicher den Türken als realistische Möglichkeit anbieten und die Freizügigkeit herstellen müssen, wie es den Türken schon Ende der 60er Jahre versprochen wurde. Leider wurde die Türkei immer als leicht zu behandelnder Partner behandelt. Das war falsch und umso weiter die europäische Perspektive für die Türkei an Relevanz verliert, desto schwieriger wird es für die westlichen Länder mit den Problemen fertig zu werden. Da gibt es nicht nur die Flüchtlingsfrage, sondern auch die Nato. Es kann auf Dauer nicht funktionieren, dass Staaten wie die Türkei auf der einen und beispielsweise Deutschland und Niederlande auf der anderen Seite, die so gegensätzliche Politik betreiben, zusammen in einem Militärbündnis sind. Soll man sich gegenseitig am Nato-Tisch beschimpfen? (Quelle)