Donnerstag, Juli 28, 2005

Schlechte Zeiten für Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Die "Zeichen der Zeit"

Sie haben sicher auch unter ihren gebildeten FreundInnen solche, die inzwischen die Thesen des Neoliberalismus so verinnerlicht haben, dass sie selber glauben, diese Thesen seien das Ergebnis ihres eigenen Nachdenkens. Zu diesen Thesen gehören Sätze wie z.B. "Wir leben doch schon lange über unsere Verhältnisse", "Wir müssen deshalb alle den Gürtel enger schnallen", "Wer ArbeitnehmerInnen-Rechte vertritt gehört zu den ewig-gestrigen Betonköpfen"...

Anmerkung: Meine Oma, Gott hab`sie selig, erzählte gerne von dem Nazi-Bürgermeister in ihrem Dorf, der den Bauern immer wieder eintrichterte, wer die Nazi-Ideologie nicht unterstützte, gehöre zu den "Ewig-Gestrigen, die die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt haben". - So viel zu den "Zeichen der Zeit": Nicht jedes Zeichen der Zeit ist automatisch auch ein Zeichen für den besten Weg...

Zu den heutigen "Ewig-Gestrigen" gehört auch Albrecht Müller, www.nachdenkseiten.de .

Er schreibt u.a.:

"Das Hauptproblem der Gewerkschaften heute ist, dass der Arbeitsmarkt völlig aus dem Gleichgewicht geraten ist. Wer Arbeitskräfte nachfragt, kann unter einer Reservearmee von Arbeitslosen auswählen. Wer Arbeit nachfragt, muss zig Bewerbungen schreiben. Die Arbeitnehmer sitzen hoffnungslos am kürzeren Hebel; das schwächt ihre Marktmacht; das setzt sie permanent Erpressungen aus: Drohung mit der Verlagerung der Produktion, der Drohung mit Lohnkürzungen und/oder mit Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich. Die erkämpften Rechte der Arbeitnehmerschaft werden in einer solchen ungleichgewichtigen Situation auf dem Arbeitsmarkt immer weniger wert. Sie sind nur dann wieder etwas wert, wenn wieder einigermaßen Wettbewerb, das heißt Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt herrscht. Das geht nur, wenn ein höherer Grad von Beschäftigung, am besten Vollbeschäftigung, erreicht wird. So schwierig es ist, der Vollbeschäftigung wieder nahe zu kommen, es muss das Hauptziel von Gewerkschaften sein. Andernfalls können sie sich - bildlich gesprochen - einen Strick kaufen.

Es gibt auch volkswirtschaftlich betrachtet überhaupt keinen Grund, dieses Ziel aufzugeben. Es gibt genug zu tun.

Ich kann jene gut verstehen, die davor warnen, die Energie- und Treibstoffvergeudung der USA auf andere wachsende Volkswirtschaften weltweit zu übertragen, gut verstehen. Ich kann jene gut verstehen, die vor weiterer Motorisierung warnen, weil sie sich vorstellen können, was ein solches Wachstum, übertragen auf China oder Indien, für die ökologische Belastung des Erdballs und des Klimas bedeutet. Aber ich kann nicht verstehen, warum sie diese Sorgen dann auf unsere jetzige Situation in Deutschland meinen übertragen zu können. Wir stecken in einer tiefen Rezession, und zur Überwindung dieser Rezession und der bedrückenden Arbeitslosigkeit ist es notwendig, mehr Beschäftigung und mehr Wachstum zu erreichen. Ob dies ökologisch verantwortbar ist, hängt einzig davon ab, was wächst.

Es gibt in unserem Land sehr viel zu tun, das ökologisch unbedenklich oder sogar förderlich ist: Wenn wir die Schüler-Lehrer-Relation verbessern, wenn wir begradigte und von Bäumen nicht mehr umsäumte Bachläufe renaturieren, wenn wir Handwerker statt Eltern Klassenräume reparieren und streichen lassen, wenn wir unsere Universitäten modernisieren, wenn die Aussiedler- und Ausländerkinder ausreichend Sprachunterricht bekommen, wenn sich alle Familien, die wollen, Ferien und gelegentlich ein schönes Essen in der nächsten Gastwirtschaft leisten können - was ist daran ökologisch bedenklich?"