Sonntag, August 31, 2008

Getötete Bundeswehrsoldaten: Kriegs-Gräber-Fürsorge.

Fast täglich beklagt "der Westen" neue Tote in Afghanistan. Es ist gut, dass die Toten beklagt werden, und es wäre gut, wenn "der Westen" nicht nur seine eigenen Toten beklagen würde, sondern alle Menschen, die in Afghanistan durch diesen Kriegseinsatz sterben müssen. Oder ist es ein Friedenseinsatz? Oder Aufbauhilfe? (siehe auch die Posts vom 27. Oktober und 3. November 2006 in diesem Blog).

In den letzten 14 Tagen traf es zehn französische Soldaten, wenige Tage vorher wurden drei kanadische und US-amerikanische Helferinnen ermordet, später traf es drei Polen, am Montag einen Dänen, Ende August den 29-jährigen Hauptfeldwebel der Bundeswehr, der auf eine Mine fuhr. Kurz darauf töteten Bundeswehrsoldaten eine afghanische Frau und zwei Kinder an einem Kontrollpunkt...
Seit Beginn des Bundeswehreinsatzes 2002 sind nun (offiziell) 28 deutsche Soldaten der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF getötet worden. - Deutschland stellt mit derzeit 3280 Soldaten in Afghanistan das drittgrößte Kontingent; das derzeitige ISAF-Mandat der Bundeswehr läuft am 13. Oktober 2008 aus, die Bundesregierung beabsichtigt, das Mandat um 1.000 Soldaten auf 4.500 zu erhöhen und um 14 Monate bis nach der Bundestagswahl 2009 zu verlängern. Mehr Soldaten, das bedeutet auch: Mehr Tote. Auf beiden Seiten. - (Nicht mitgezählt werden übrigens die Toten des deutschen Kommandos Spezialkräfte KSK aus Calw, denn dessen Auftrag und Einsatz sind geheim, nicht einmal alle Bundestagsabgeordneten werden über deren Engagement wirklich informiert.) -

Laut Hilfsorganisationen wurden bei Kämpfen und Anschlägen in Afghanistan allein in diesem Jahr bereits mehr als 3000 Menschen, darunter rund 1000 Zivilisten getötet. Sterben in Afghanistan gehört zum bitteren Alltag. Offizielle Zahlen gehen von einer Steigerung der Zwischenfälle gegenüber 2007 um 40 Prozent aus. Und dieser Trend wird sich nach einem Urteil des Berliner Verteidigungsministeriums 2009 fortsetzen.

Nach Auffassung des Wehrbeauftragen Robbe (SPD) soll der deutsche "Staat für die langfristige Sicherung der Pflege der Gräber zuständig sein". Es sei wichtig, das Andenken der bei Friedens-Einsätzen umgekommenen Soldaten hochzuhalten. Damit schließt sich Reinhold Robbe der Forderung des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge an: Es könne nicht sein, dass der Tod eines Soldaten zu einem "Berufsunfall" herabgesetzt werde. - Stobbe spricht ausdrücklich von Soldaten, die bei Friedens-Einsätzen ums Leben gekommen sind. Russland spricht von seinen Truppen, die derzeit in Georgien stationiert sind, ebenfalls von Friedens-Truppen. Der Volksbund spricht von Kriegs-Gräbern, dafür ist er zuständig. Sonst müsste man den Bund umbenennen in Volksbund Deutscher Friedensgräberfürsorge. Oder?

Freitag, August 15, 2008

Georgien 08

"Glauben Sie wirklich, Sie können den Geist des Widerstands, die Sehnsucht nach einem Frieden, der nicht auf Staatsterror und Militarismus aufgebaut ist, sondern auf wirtschaftlicher Gerechtigkeit [...] auslöschen?"
(Dorothee Sölle in ihrer Verteidigungsrede vor Gericht im April 1986, angeklagt wegen gewaltfreier Sitzblockade vor einem Raketen-Depot in Mutlangen)




Präsident Saakaschwili

  • Hatte am 7. August 2008 eine Offensive gestartet, um das seit 1992 abtrünnige Süd-Ossetien zurück zu gewinnen, die Folge war eine russische Intervention,
  • Gilt als sprunghaft und emotional,
  • bezeichnete den jetzigen Premier Russlands Putin als "Liliputin", was die Freundschaft zwischen beiden nicht gerade vertiefte,
  • bezeichnet die Regierung Abchasiens mal als "Hyänen, die sich in den Regierungsgebäuden verschanzt haben", mal als "Unsere Brüder in Abchasien",
  • bezeichnet die Regierung in Südossetien mal als "Banditen", mal als "Unsere Brüder in Südossetien",
  • liebt George W. Bush und nennt ihn "Leuchtturm der Demokratie",
  • liebt sich selber und die Medien, spricht fließend Englisch mit amerikanischem Akzent, weil er mal Anwalt in Manhattan war, weswegen ihn wiederum die amerikanischen Medien lieben,
  • liebte eine Mitarbeiterin so sehr, dass sie ein Kind von ihm bekam, was seine niederländische Frau Sandra gar nicht mochte, so dass sie eine Zeit lang nebst Kindern zurück in die Niederlande ging, bis er sich entschuldigt hatte,
  • liebte die hübsche Frau des Präsidenten von Aserbaidschan so sehr, dass Präsident Ilham Alijew erst mal zornig die Grenze zu Georgien schloss, bis sich Saakaschwili entschuldigt hatte,
  • liebte erst seinen Ziehvater Eduard Schewardnadse, stürzte ihn aber Ende 2003,
  • zementierte seine Macht im Januar 2008 mit einer massiv manipulierten Präsidentschaftswahl,
  • regiert als Autokrat, knebelte die Medien und machte sich die Justiz untertan,
  • rüstete mit massiver Hilfe der USA seine Armee auf, um die Rückeroberung von Abchasien und Südossetien vorzubereiten, die sich für unabhängig erklärt hatten,
  • verstärkte dort auch die Aktivitäten seines Geheimdienstes, so dass z.B. die International Crisis Group schon länger vor einem Krieg gewarnt hatte,
  • ließ seine Armee durch US-Offiziere trainieren,
  • wollte durch seinen Überfall eventuell den Westen zum militärischen Eingreifen in Georgien gegen Russland nötigen, weil ihm Georgien bisher noch nicht schnell genug in die EU und die NATO durfte,
  • lief aber vielleicht auch in eine Falle, die ihm Russland gestellt hatte, um militärisch in Georgien eingreifen zu können - man weiß es noch nicht so genau...,
  • will "bis zum Ende kämpfen, bis der letzte russische Soldat Georgien verlassen hat".
  • ...
Russland

  • hat einen Premier, der Saakaschwili persönlich ebenso wenig liebt wie dieser ihn,
  • ärgert sich schon lange, weil der Westen ihm nun auch noch die Ukraine und Georgien abspenstig machen will, nachdem die meisten westlichen Staaten gerade erst (im Februar 2008) die völkerrechts-widrige Abspaltung Kosovos von Serbien anerkannt hatten und Russland schon viele andere Staaten zuvor verloren hatte,
  • ärgert sich, weil die USA ihm in Polen mit dessen Duldung Raketen vor die Haustür setzen wollen und setzen werden, schön-geredet als "Raketen-Abwehr-Projekt",
  • ärgert sich, weil der Westen systematisch Ölleitungen baut, die nicht mehr unter seiner Kontrolle stehen,
  • sagte nun in Georgien: "jetzt reicht`s",
  • sitzt an einem ziemlich langen Hebel, weil es Gas z.B. nach Georgien, in die Ukraine und auch nach Westeuropa liefert,
  • betrachtet den Kaukasus als seinen Einflussbereich - leider betrachtet Präsident George W. Bush den Kaukasus ausdrücklich auch als US-amerikanischen Einflussbereich,
  • will verhindern, dass Georgien Südossetien und Abchasien erneut überfallen kann und will deshalb vor einem Rückzug aus Georgien die militärische Infrastruktur Georgiens dementsprechend zerstören,
  • hat an Abchasen und Südosseten seit langem großzügig russische Pässe ausgegeben, so dass es nun mit Recht sagen kann, dass in diesen Ländern russische Staatsbürger durch Georgien bedroht wurden; die meisten der 250.000 Abchasier haben einen russischen Pass,
  • möchte evtl. gerne Abchasien unter Kontrolle haben, weil es nur durch den Fluss Psou von Sotschi getrennt ist, der beliebten russischen Bade-, Kur- und Konferenzstadt, in der 2014 die Olympischen Winterspiele ausgetragen werden sollen,
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Abchasien
  • wurde von Stalin dessen Heimat Georgien zugeschlagen,
  • strebte seit langem wieder nach der Unabhängigkeit von Georgien und hat schließlich nach einem langen Bürgerkrieg 1998 seine Unabhängigkeit von Georgien erklärt; (Georgien selber hatte sich 1992 für unabhängig erklärt); die Unabhängigkeit Abchasiens ist international nicht anerkannt,
  • wird in seinen Unabhängigkeits-Bestrebungen von Russland unterstützt,
  • hat einen großen Anteil an Georgiern in seiner Bevölkerung, die Mehrheit hat aber einen russischen Pass,
  • lebt vom Anbau von Südfrüchten, Tee und Tabak,
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Südossetien

  • wurde von Stalin seiner Heimat Georgien einverleibt, Nordossetien aber der Sowjetunion,
  • ist etwa so groß wie Mallorca, hat 70.000 EinwohnerInnen, und der größte Teil des Landes liegt mehr als 1000 m über dem Meeresspiegel,
  • galt schon im 19. Jahrhundert als enger Verbündeter des damaligen Russlands, 90% der Bevölkerung hat (inzwischen) einen russischen Pass,
  • hat seit 1989 mehrfach seine Unabhängigkeit von Georgien verkündet, es gab in den letzten 17 Jahren immer wieder Kämpfe gegen Georgien mit hunderten von Toten,
  • wurde - natürlich erst nach dem Zerfall der Sowjetunion - von Russland in seinen Unabhängigkeits-Bestrebungen unterstützt,
  • ist international nicht als Staat anerkannt,
  • hat nach einem Waffenstillstand von 2004 offiziell und unter UN-Mandat russische Friedenstruppen im Land,
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Und was steckt dahinter?
Der Streit in Georgien ist Teil eines globalen Kampfes um Gas und Öl.

Nach Andreas Zumach, Publizist, Experte auf den Gebieten des Völkerrechts, der Sicherheitspolitik, der Rüstungskontrolle und internationaler Organisationen, in den 1980er Jahren war er Sprecher des bundesweiten Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung:
  • "Der Westen" (Washington, Paris und Berlin, aber auch Warschau oder Vilnius) trägt eine erhebliche Mitverantwortung für die Eskalation, die zu dem heißen Krieg auf dem Kaukasus geführt hat.
  • Das Drehbuch für diesen Krieg wird bereits seit Anfang der 90er Jahre geschrieben. Nach dem Zerfall des Warschauer Paktes und der Sowjetunion nahm der Westen vorübergehend die Vision des sowjetischen Reformpräsidenten Michail Gorbatschow vom "gemeinsamen Haus Europa" auf.
  • Die "Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (OSZE) solle zum "Herzstück der europäischen Architektur werden" hieß es in der "Charta für ein neues Europa", die 1990 in Paris von den Staats-und Regierungschefs aller 54 Mitgliedsstaaten der (damals noch) "KSZE" feierlich verabschiedet wurde. - Jedoch: Es blieb bei der Rhetorik.
  • Tatsächlich haben die westlichen Regierungen seitdem systematisch die NATO gestärkt und sie nach Osten bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt, während sie die OSZE verkommen ließen.
  • Statt Moskau mittels der OSZE in Europa einzubinden, wurde das Land mit einer Statistenrolle abgespeist und immer mehr in die Ecke getrieben.
  • Der Konflikt um die georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien und die Rechte der dort lebenden Minderheiten wäre längst gelöst, wäre er nicht Teil eines großen Energie-Pokers zwischen den USA, Russland und der EU im Kaspischen Becken (und ebenso auch in Zentralasien).
  • Dieser Poker begann, als sich die großen Ölkonzerne der USA nach dem Ende der Sowjetunion weitreichende Zugriffs- und Erschließungsrechte an den Öl- und Gasreserven in den zentralasiatischen Ex-Republiken der UdSSR sicherten - zumeist mittels Bestechung der autokratischen und diktatorischen Regierungen dort.
  • Sämtliche US-amerikanischen und europäischen Pipeline-Projekte zum Transport dieser Reserven, die seit Mitte der Neunzigerjahre geplant - und inzwischen zum Teil realisiert - wurden, haben alle eines gemeinsam: Sie führen - anders als die einst wichtigste sowjetische Pipeline von Aserbaidschans Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer nach Noworossisk am Schwarzen Meer - nicht über russisches Territorium.
  • Die Pipeline von Baku (am Kaspischen Meer in Aserbaidschan) nach Supsa (am Schwarzen Meer in Georgien) führt durch Georgien, an Russland vorbei, befindet sich in der Hand von BP (früher: "British Petroleum") und wurde trotz der internen und externen Konflikte des Landes gebaut. Dafür betreiben die USA seit Jahren die militärische Aufrüstung Georgiens und seinen Beitritt zur Nato. (u.a. nach taz 15.8.08)