Knajeh ist ein Dorf "oben links" in Syrien. Ein rein katholisches Dorf. In ihm leben etwa tausend Christen, und bisher sind weder Truppen der freien syrischen Armee noch Regierungstruppen dorthin gekommen, kein Schuss soll dort gefallen sein.
Man sagt: Wegen der Franziskaner.
Im Dorf gibt es es eine Franzsikaner-Abtei, die von Pater Hanna geleitet wird. Sie wurde vor 135 Jahren gegründet, und hier gab es die erste Schule, das erste Theater, die erste Krankenstation und das erste elektrische Licht im Tal. Die Front zwischen Regierungs- und freier Armee verläuft nur wenige Kilometer von der Abtei entfernt: "Es gibt einen atavistischen Hass, der mit dem Krieg wieder hochgekommen ist", sagt der Pater. Doch die Abtei hat Hunderte von Flüchtlingen aufgenommen: Muslime, Christen und Alawiten.
„Wir syrischen Christen stellen etwa sieben Prozent der Bevölkerung, das sind rund anderthalb Millionen Menschen. Die meisten wollen weder das Regime noch den Krieg. Wir wollen nur Frieden.
Anfangs waren wir bei den Demonstrationen dabei, solange sie noch friedlich waren. Später ist die Sache dann schmutzig geworden.
Das wurde mir klar, als hier in Dschisir die Rebellen 82 Soldaten erschossen und den Chef der Geheimpolizei aufgehängt haben.
Wenn man eine Idee hat, lässt man es nicht so weit kommen. Wenn du zum Mörder wirst, ist alles verloren.“
Quelle
Zwei syrische Kulturschaffende sehen die Lage so:
"Wie lässt sich die Lage in Syrien am besten beschreiben? Die einen sehen eine Revolution, die anderen einen Bürgerkrieg.Die internationale Gemeinschaft übertreibt, wenn sie das behauptet. Diese Lesart entspringt einer orientalistischen Perspektive. Einer Sichtweise, die Syrer oder auch Araber insgesamt auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit reduzieren will.
- Vorweg: Der Kampf in Syrien ist keineswegs rein religiöser Natur.
Der Spanische Bürgerkrieg war eine Konfrontation zwischen Republikanern und faschistischen Anhängern Francos. Die russische Revolution entflammte vor dem Hintergrund des Aufstands gegen den Zaren.
- Auch die Lage in Syrien gleicht mehr diesen Beispielen als einem entfesselten Religionskrieg.
- Einer der Hauptgründe für den Bürgerkonflikt in Syrien ist der Aufstand eines Teils der Bevölkerung gegen eine feudale Schicht, die sie vollkommen unterjocht hatte. Den Großteil der aufständischen Sunniten treibt der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und Rache an jenen Feudalisten viel mehr an als konfessionelle Befindlichkeiten.
- Übrigens gehören auch die "Feudalisten" unterschiedlichen Konfessionen an.
Bürgerkonflikte sind immer vielschichtig und multikausal. Ausgelöst werden sie, grob gesagt, durch innere und äußere Faktoren.
Zu den inneren Faktoren zählt alles Konfessionelle, Religiöse, Ethnische, Klassenspezifische, Territoriale. Das Regionale, Überregionale und Internationale sind die äußeren, geopolitischen Faktoren.
Schon wegen dieser Gemengelage ist ein Bürgerkonflikt nie rein konfessioneller Natur.
Westliche Medien, ja selbst internationale Menschenrechtsorganisationen greifen inzwischen fast immer auf die Bezeichnung "Bürgerkrieg" zurück,
wenn sie die Geschehnisse in Syrien beschreiben wollen. ... Im Unterschied zu dieser Erzählung sind wir der Ansicht, dass das, was in Syrien passiert, ein Volksaufstand ist.
Dem zuvor skizzierten Narrativ widersprechen wir mit folgenden Argumenten:
- Erstens wird hier der Folterknecht mit seinem Opfer gleichgesetzt - und somit dem Aufstand jede moralische Dimension abgesprochen.
- Außerdem wird die Entwicklung des Aufstands gegen Assad ausgeblendet,
- angefangen damit, dass im Jahr 2011 in Daraa fünfzehn Kinder wegen eines Graffito vom Regime gefoltert wurden,
- über die friedlichen Proteste, die sich daraufhin nach und nach über das ganze Land ausbreiteten
- und schließlich zu den gewaltfreien Demonstrationen von mehreren Hunderttausend Menschen in Hama und Deir as-Sur führten.
Genauso falsch ist es, die syrische Revolution isoliert von den anderen arabischen Revolutionen zu betrachten.
- ...Als wäre das nicht genug, übergeht man auch die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts: angefangen beim Staatsstreich vom 8. März 1963 über die "Korrekturbewegung" bis hin zur Machtübergabe an Baschar al-Assad durch seinen Vater. Auch dass die Baath-Partei und später der Assad-Clan keinerlei politische Teilnahme egal welcher Seite im Land zuließ, wird verdrängt.
Die syrische Revolution ist Teil einer die gesamte Region erfassenden Volksbewegung, die vor allem danach strebt, ihre Gesellschaften von den diktatorischen und korrupten Regimen zu befreien.
- Die Beschreibung als "Bürgerkrieg" ignoriert all das und konzentriert sich einzig und allein auf den militärischen Aspekt des Geschehens.
- Zwar hat der militärische Aspekt in letzter Zeit die Oberhand gewonnen. Doch die gewaltfreie Oppositionsbewegung existiert weiterhin. Abgesehen von den Demonstrationen, die bis heute weiterhin regelmäßig stattfinden, wird in Syrien vielfältigste zivilgesellschaftliche Arbeit geleistet: bei der humanitären Hilfe, bei der Berichterstattung durch Bürgerjournalisten und der Dokumentation der Ereignisse, bei der politischen und sozialen Koordination.
Die Akteure in all diesen Bereichen sehen sich keineswegs in einen "sinnlosen Bürgerkrieg" involviert. Vielmehr begreifen sie sich als Teil eines demokratischen Prozesses. Anzuerkennen, dass es in Syrien Ansätze eines Bürgerkriegs gibt, schließt nicht aus, zu erkennen, dass dort eine Revolution stattfindet.
Allgemeiner ausgedrückt:
- Revolution wird definiert als das Streben breiter Bevölkerungsteile, ihre elende Lage zu beenden, wobei genau dieses Streben - in seinen unterschiedlichen Phasen - Formen eines Bürgerkriegs einschließen kann.
Stets steht ein Teil der Bevölkerung auf der Seite des repressiven Staates oder verharrt in Neutralität. Revolutionen ohne Gewalt, Revolutionen ohne Verlierer, ohne die notorisch Unentschiedenen, ohne Opportunisten und Märtyrer gibt es nicht. ... Trotzdem ist das, was derzeit in Syrien geschieht, eben kein "sinnloser Bürgerkrieg". Es ist eine Revolution, mit allen dazugehörigen Mühen und Schmerzen und unterschiedlichen Phasen. Es ist der längste und steinigste aller Wege, die Freiheit zurückzuerlangen."
MOHAMMED AL-ATTAR, ODAI ALZOUBI
- Mohammed al-Attar, geboren 1980, ist syrischer Dramatiker.
- Odai Alzoubi, geboren 1981, ist syrischer Schriftsteller
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Siehe auch:
- Syrien: Von Glaube, von Hoffnung
- Syrien: Von Aufstand und Irreführung
- Syrien: Die Aufständischen und das verlorene Heft
- Syrien: Global Play