Freitag, Dezember 19, 2014

Von der globalen mentalen Depression und der großen Bitterkeit. - Oder "is everything being just fine"?

"Nicht ist gut in Afghanistan"
sagte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Margot Käßmann, in ihrer Neujahrspredigt 2010 und löste damit eine bundesweite Debatte aus.
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"Ich will verzweifeln." - Die Massenproteste, ob in Ägypten oder den USA, haben nichts gebracht.
schreibt Sarah Eltantawi, Assistenzprofessorin für Vergleichende Religionswissenschaften am Evergreen State College im US-Staat Washington, im Dezember 2014 unter der Überschrift "Die große Bitterkeit":
»Wir haben den Tahrirplatz zu früh verlassen.
Wir waren begeistert von dem großen Theater und voller Zuversicht, dass die Momente wunderschöner Anarchie, der in der ganzen Welt verstanden wurden, ausreichen würden, um den Wechsel herbeizuführen. Spätestens seit dem Freispruch von Expräsident Mubarak wissen wir, es war nicht genug.

Auf einem anderen Kontinent
wird laut USA Today im Durchschnitt zweimal pro Woche ein unbewaffnetes afroamerikanisches Kind auf offener Straße exekutiert. Videoaufnahmen zeigen Jungen, die in heller Aufregung schreien: "Ich habe keine Waffe. Nicht schießen!!", und nur Sekunden später erschossen werden. Nach den letzten Schüssen auf Michael Brown durch den Polizisten Darren Wilson in Ferguson, Missouri kam es zu Ausschreitungen und Protesten, so groß wie seit Occupy und den Millionen Demonstrationen gegen den Irakkrieg nicht mehr.

Ich will verzweifeln,
denn keine dieser großen Gesten hat zu einer positiven Veränderung geführt. Der Krieg gegen den Irak ging weiter, die Schäden waren sogar noch massiver als erwartet. Vierzehn weitere Teenager wurden seit Michael Braun erschossen, und letzte Woche wurde Mubarak, der Ägypten völlig ruiniert und alle Ressourcen des Landes gestohlen hat, von allen Vorwürfen freigesprochen.«
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Die Welt ist kein friedlicher Ort und wenn sie noch so golden strahlt.
Herrlich und prächtig tanzen die Sieger.
Das alles sieht sehr gut aus. –

Nichts ist gut. - Freundlich sein und dreckig handeln.
So sieht es der israelische Choreograph Hofesh Shechter in seinem Stück Political Mother.
»Mein Zorn hat viel mit dieser Dissonanz zu tun zwischen dem, was wir uns alle hier vormachen und dem, was ich für wahr halte. Es ist alles wunderschön, vor allem hier im Westen.

Aber wenn du dich fragst, wie ist das alles so wunderbar geworden, dann merkst du, da brodelt etwas unter der Oberfläche. Und das ist ziemlich dunkel. [...]

Menschen sind nicht wirklich [exactly] nett zueinander. Wir haben das hier nicht alles, weil wir so nett zueinander waren. Aber jetzt tun wir so, weil wir in dieser schönen Seifenblase aus Wohlstand leben ."
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Nichts ist gut in der Ukraine,
und heute, nach 5 Monaten,  weiß die Öffentlichkeit immer noch nicht, wer am 17. Juli 2014 das Passagierflugzeug mit der Flugnummer MH17 (298 tote Zivilisten) über der Ukraine abgeschossen hat. - Wer sind die, die uns etwas verschweigen?

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NSU-Leaks: Nichts ist gut in der deutschen Staatsanwaltschaft.
Auch nach drei Jahren ist nicht klar, wie die NSU-(Nationalsozialistischer Untergrund)-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos am 4.11.2011 in ihrem Campingwagen umgekommen sind. Wirklich Selbstmord? - Die Staatsanwaltschaft teilte 2014 mit: Die Ermittlungen zu den Umständen des Todes konnten noch nicht abgeschlossen werden.
screenshot

Seit Mai 2014 findet man im Internet - eingestellt von "Fatalist" - Auszüge aus den Ermittlungsakten des Bundeskriminalamtes zum NSU, die für manche Menschen den Verdacht begründen, dass die deutschen Ermittlungsbehörden systematisch die Beweismittel gefälscht haben. Sie teilten dies dem Bundestags-Innenausschuss schriftlich mit, doch auch der Vorsitzende dieses Ausschusses  kam nicht an die Akten heran, um zu überprüfen, ob das, was im Internet an Akten veröffentlich wurde, wirklich mit den Original-Akten übereinstimmt: Unseren Bundestagsabgeordneten wird die Akteneinsicht verweigert. "Wie soll dann Wahrheit ermittelt werden? Es scheint, als ließen die Verantwortlichen ganz gezielt vieles in der Schwebe." (Fernsehmoderator und Philosoph Gert Scobel am 17.12.14 in 3sat kulturzeit.) Auch in Baden-Württemberg wird die Aufklärung der Mordserie von Staats wegen behindert ...
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NICHTS ist gut?


Frau Nussbaum, Jahrgang 1947, Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago sagt:
»Eine Gesellschaft, die den Egoismus überwinden und den Reichtum neu verteilen will, braucht dazu Liebe. – Es gab eine Ära, in der die Bürgerrechtsbewegung ein wundervolles Gefühl der Liebe beschworen hat. Martin Luther King jun. war ein Genie im Umgang mit Emotionen. Er konnte Zorn und Verbitterung, die das Land fast zerstört hätten, in Hoffnung und konstruktive Arbeit verwandeln. … Man benötigt Emotionen, sonst geht jeder seinen Geschäften nach, und nichts verändert sich.«
Gerechtigkeit in der modernen Gesellschaft ist ihr Thema; an Beispielen zeigt sie auf, wie Emotionen (Liebe und Empathie) Gerechtigkeit in der Gesellschaft erzeugen konnten und können bzw. könnten. Dabei geht es nicht darum, nett zueinander zu sein (siehe oben, Hofesh Shechter).
Sie zeigt am Beispiel Martin Luther King, welche Rolle diese Emotionen im politischen Diskurs spielen können. Politischer "Diskurs" (Michel Foucault) meint mehr als politische Diskussion und deren Inhalt. "Diskurs" meint auch: WIE redet man? Wie geht man miteiander um? Mit welchen Mitteln kämpft man? Wie agieren die zeitgenössichen Künstler? ... So wurden die Sozialreformen von Präsident Roosevelt in den 1930er Jahren von Künstlern wie Orson Welles und anderen  unterstützt.- Mehr dazu in ihrem Buch, (das 39,90 kostet).


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Dieser Post wurde inspiriert von der o.g. Ausgabe von 3sat kulturzeit

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