Das Älterwerden hat seinen eigenen Sinn und birgt in sich seine eigene Herausforderung:
Die Aufgabe des jungen Menschen ist es, in die Zukunft zu blicken, sich auf das Leben vorzubereiten und sein Leben aufzubauen. Auch der ältere oder alternde Mensch hat die Aufgabe, in seine Zukunft zu blicken, über seine Zukunft nachzudenken, sich auf seine Zukunft vorzubereiten. Bei beiden wird am Ende der Zukunft der Tod stehen; das haben die Menschen aller Rassen und aller Religionen und aller Altersgruppen gemeinsam, und das eint sie. Es ist ihr gemeinsames Schicksal. - Auch wenn die konkreten Vorbereitungen auf die jeweilige Zukunft der verschiedenen Altersstufen sich naturgemäß unterscheiden. C.G. Jung meint, es sei eine Perversion der Kultur, wenn sich die Alten wie die Jungen gebärden und meinen, sie müssten die Jungen an Arbeitseifer und Leistung übertreffen.
Der Psychoanalytiker C. G. Jung schreibt:
»Es ist [für den älteren Menschen] ebenso neurotisch, sich nicht auf den Tod als ein Ziel einzustellen, wie in der Jugend die Phantasien zu verdrängen, welche sich mit der Zukunft beschäftigen.«
»Dem Seelenarzte erscheint der Alte, der sich vom Leben nicht trennen kann, ebenso schwächlich und krankhaft wie der Junge, der es nicht aufzubauen vermag.
Und tatsächlich handelt es sich in vielen Fällen um dieselbe kindliche Begehrlichkeit, dieselbe Furcht, denselben Trotz und Eigensinn im einen wie im anderen Falle.
Ich bin als Arzt überzeugt, dass es sozusagen hygienischer ist, im Tode ein Ziel zu erblicken, nach dem gestrebt werden sollte, und dass das Sträuben dagegen etwas Ungesundes und Abnormes ist, denn es beraubt die zweite Lebenshälfte ihres Zieles.«
Und ähnlich der Dichter Hermann Hesse:
»Ohne dieses Ja, ohne die Hingabe an das, was die Natur von uns fordert, geht uns der Wert und Sinn unsrer Tage - wir mögen alt oder jung sein - verloren. Und wir betrügen das Leben.«Der älter werdende Mensch steht in einer seltsamen Spannung dazwischen:
Der Theologe Karl Rahner:
»So sind wir Alten in einer seltsamen, einmaligen Spannung stehend zwischen einem Mut des diesseitigen Lebens und der Hoffnung des ewigen Lebens.
Wir leben noch, also müssen wir noch weiterzuleben suchen. Gewiss brennt unser hiesiges Lebenslicht allmählich kleiner und niedriger und zittert oft ängstlich. Gewiss haben wir diesbezüglich nur begrenzte Möglichkeiten und brauchen uns nicht illusioniert vorreden, wir könnten den alten Schwung des Lebens weiter bewahren, wenn wir nur wollen. Diesbezüglich gibt es hohle Parolen ("Man ist so alt, wie man alt sein will"), die man sich nicht anquälen sollte, sondern ehrlich und nüchtern zur Abnahme seiner Lebenskraft in allen Dimensionen (auch des Geistes) sich bekennen. Aber man lebt eben doch noch und sollte das Leben, das einem noch geblieben ist, wirklich leben und ausfüllen wollen.«
Es geht für mich, sagt Anselm Grün in seinem Buch "Die hohe Kunst des Älterwerdens" darum, ja zu sagen zu dem, was sich mir in den Weg stellt, daran nicht zu zerbrechen, sondern nur die Illusionen zerbrechen zu lassen, die ich mir vom Leben gemacht habe. Zunehmende Beschwerden des Alltags, Krankheit, Schwächerwerden des Körpers und des Gedächtnisses: All das zerbricht uns hoffentlich nicht, sondern es zerbricht nur eine Illusion, die wir uns vielleicht vom Leben gemacht haben: Für mich ist es eine wichtige spirituelle Aufgabe, immer mehr ja zu sagen: zu meiner Endlichkeit und Begrenztheit, zum Abnehmen meiner Kräfte (und letztendlich zum Sterben).
Ich weiß, sagt Grün mit 62 Jahren, wie leicht es ist, vom Annehmen und Loslassen zu sprechen. Aber wenn ich konkret eine Aufgabe loslassen soll, merke ich selbst, wie schwer es mir fällt. Da tauchen genügend Gedanken in mir auf, die mich daran hindern: Das kommen Zweifel hoch, ob es die anderen wohl gut genug machen oder ob meine spirituelle Richtung weitergeht, wenn ich nicht mehr da bin. Dies alles sind berechtigte Überlegungen. Doch sie hindern mich letztlich, all das, was ich aufgebaut habe, loszulassen und mein Zurücktreten und Nichtmehrgefragtsein anzunehmen.
1. Jahreszeiten:
2. Ein anderes Bild für das Alter ist das des Traubenstocks:
Buchtipp:
Zwei Bilder für die Lebensalter:
(nach Anselm Grün)
Der Frühling - die Kindheit und Jugend - habe sein aufblühendes Leben, der Sommer -das Erwachsenenalter - seine sonnigen Tage. Das Alter sei dagegen wie der Herbst in seiner Schönheit. Auch der Herbst ist schön. Er ist geprägt durch die wunderbaren Herbstfarben, durch die Milde des Sonnenlichts und durch das Feiern der Ernte, das Genießen der Gaben der Schöpfung.
Während des Berufslebens und in der Arbeit kann man vieles nicht wahrnehmen. Im »Herbst« des Lebens geht es darum, das Schöne zu schauen und zu genießen. Statt zu leisten, genügt es, einfach da zu sein. Aber so, wie der Herbst Neues in der Schöpfung hervorbringt, so ist es auch die Aufgabe im Alter, Neues zu probieren.
Aber der Herbst kann auch von negativen Erfahrungen geprägt sein. Da gibt es die Herbststürme, die Bäume entwurzeln und uns das Vertraute nehmen.
Zur Kunst des Altwerdens gehört es, den Herbst in seiner Schönheit, aber auch in seiner Rauheit anzunehmen.
Die Früchte, die im Herbst am Weinstock hängen, tun nichts mehr. Sie setzen sich einfach nur der Sonne aus und reifen, bis sie geerntet und für andere zu einer Quelle der Freude werden.
Der alte Mensch muss nichts mehr leisten, er muss sich nicht durch Leistung Anerkennung verschaffen. Er ist einfach da. Allerdings zeigt der Weinstock auch, dass dies kein passives Dasein ist. Er hat. ja noch den inneren Trieb, der ihn am Leben hält. So wird das Alter dann fruchtbar, wenn der alte Mensch das, was in ihm ist, ausdrücken kann: in Worten, in Erzählungen oder in Bildern oder Musik. Künstler wie Pablo Picasso und Marc Chagall oder Musiker wie Pablo Casals oder Sergiu Celibidache haben bis ins hohe Alter den Reichtum ihrer Seele zum Ausdruck gebracht und damit zahlreiche Menschen beglückt.
Viele alte Menschen haben der Welt Wichtiges zu sagen. Doch die meisten haben kein Forum, vor dem sie es zur Sprache bringen und ausdrücken können. Wenn alte Menschen das, was in ihnen an echtem Reichtum liegt, thematisieren können und wenn sie dabei Zuhörer oder Betrachter finden, dann gelingt die hohe Kunst des Älterwerdens.
Buchtipp:
Irvin D. Yalom, In die Sonne schauen. Wie man die Angst vor dem Tod überwindet.
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