Der Mensch ist ein soziales Wesen.
Das beinhaltet nicht nur, Gemeinschaft erleben zu wollen, sondern auch die andere Seite dazu gehört: das Bedürfnis allein zu sein.
Nicht alles und jedes kann im Beisein von anderen gelebt werden, jeder Mensch braucht zwischendurch Zeit und Raum für sich selber, sei es um nachzudenken, um etwas auszuprobieren, um bestimmte Erfahrungen zu machen, oder um sich über etwas klar zu werden - die Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen.
Raum und Zeit für sich allein zu haben, ist unentbehrlich, auch in einer Partnerschaft, und sei sie noch so innig und liebevoll. Oft wird versäumt, das offen anzusprechen und sich gegenseitig diesen Raum zu gewähren, sei es aus Angst, den andern zu kränken, oder aufgrund der unrealistischen Vorstellung, Partnerschaft bedeute absolute Zweisamkeit. Doch unerfüllte Bedürfnisse nach Alleinsein machen - paradoxerweise - einsam und entfremden die Partner voneinander.
Menschen, die allein leben, kommen im Alter schlechter zurecht als solche, die mit anderen zusammenleben - behaupten die Experten. Ich wage das zu bezweifeln. Es hat wohl beides Vorzüge und Nachteile, und ob jemand sich mit der einen oder mit der anderen Lebensform besser zurechtfindet, hängt von vielen Faktoren ab: von der Lebensgeschichte, von individuellen Vorerfahrungen, persönlichen Wesenszügen, Prägungen und Präferenzen, um nur einige zu nennen.
Allein leben ist nicht die schlechteste Lebensform, sie hat - wie alles im Leben - ihre guten und ihre schlechten Seiten.
Ich zum Beispiel lebe gern allein. Ausgesucht habe ich es mir nicht. Es hat sich so ergeben - eine Trennung, ein früher Tod -, ich musste mich früh daran gewöhnen. Am Anfang fiel es mir sehr schwer, doch mit der Zeit merkte ich zu meinem Erstaunen, dass diese Lebensform auch manches für sich hat.
Eine banale Erfahrung, aber doch ein »Schlüsselmoment« ganz zu Anfang, als ich noch damit haderte, allein leben zu müssen: Ziemlich niedergeschlagen saß ich beim Frühstück, griff lustlos nach der Zeitung, um mich abzulenken - und merkte plötzlich, wie gemütlich es ist, beim Frühstück in Ruhe die Zeitung zu lesen. Das wäre mir früher nicht im Traum eingefallen, obwohl beim Frühstück eigentlich niemand gesprächig gestimmt war. Auf einmal überkam mich inmitten meiner traurigen Grundstimmung ein Glücksgefühl, das diesem nichtigen Anlass überhaupt nicht angemessen war. Doch er hat mir die Augen geöffnet.
Es ist eine Illusion zu glauben, wenn man sich nur „richtig“ entscheide, sei alles gut. Wie immer man sich entscheidet, es gibt Vor- und Nachteile. „Jede Entscheidung ist 49 zu 51 Prozent“, hat vor Jahren einmal ein kluger Therapeut gesagt. – Es ist sehr entlastend zu wissen, dass jede Entscheidung sowohl Gewinn wie Verlust beinhaltet. Wenn man sich dann noch bewusst macht, welches die möglichen Vor- und Nachteile sind und was von beidem schwerer wiegt, wird man Entscheidungen treffen, mit deren beiden Seiten man gut leben kann.
Nach:
Marlis Pörtner, *1933:
Alte Bäume wachsen noch. Neue Erfahrungen in späten Lebensjahren.
Klett-Cotta 2010.
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