Montag, Juni 25, 2012

Fräulein Hallo, Liao Yiwu und die Preisvergaben


Es ist wirklich schön, dass der Chinese Liao Yiwu, Jg. 1958, der seit 2011 in Deutschland lebt, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt. Denn wie der Leser und die Leserin dieses Blogs vielleicht schon gesehen haben (rechts bei "Lektüren"), gehört sein Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser" zu den Büchern, die der Blogger streckenweise sehr unterhaltsam (Das Kapitel über die Leichenträger) und zugleich auch lehrreich fand. Und da Liao Yiwu sowohl Opfer als auch Täter der chinesischen Geschichte interviewt (z.B. in dem Kapitel über Chinas "Großen Sprung nach vorn" zu Zeiten Maos) beschleicht einen auch nie das Gefühl, dass hier undifferenziert und einseitig geschrieben und interviewt wird. - Er hat diesen weiteren Preis verdient. - 

Für sein anderes Buch (über seine Zeit im Gefängnis) bekam er schon den "Geschwister-Scholl-Preis") und vom Deutschen Akademischen Austauschdienst ein Stipendium in Deutschland. - Er hat genug gelitten.

__________________________________

Das ungute Gefühl beschleicht mich in einem anderen Zusammenhang:

  • 1989 Nobel-Preis für den derzeitigen 14. Dalai Lama Tendzin Gyatsho  (und viele weitere Auszeichnungen für ihn im deutschsprachigen Raum), dessen Geschichte nicht so friedlich und "heilig" ist, wie manche glauben möchten oder sollen.
  • Und: Da der Friedensnobelpreis schon mehrfach an Preisträger ging, die in ihrer Arbeit auf eine Lösung eines Konflikts über die staatliche Zugehörigkeit eines Gebietes hingearbeitet haben, läuft schon die Angabe der Nationalität Gefahr, als tendenziös angesehen zu werden. So wurde bei der Vergabe an den 14. Dalai Lama  als Nationalität Tibet angegeben, obwohl dieser Staat völkerrechtlich nur in Form einer Exilregierung existiert und zu China gehört.
  • 20120 Nobelpreis an den Chinesen Liu Xiaobo, Jg. 1995, der wie Liao Yiwu in China viel gelitten hat, was allein aber noch kein Grund ist für einen Nobelpreis. Das war wohl deutlich eine politische anti-chinesische Preis-Vergabe, auch wenn bei der Verleihung selber die chinesische Regierung nicht kritisiert wurde (was wiederum einige Sinologen bemängeln). - Zumal Liu-Xiaobo zu den Chinesen gehört, die "den Westen" kritiklos in den rosigsten Farben sehen.
  • "Die Entscheidungen der Vergabekomitees werden deshalb häufig kontrovers diskutiert. Vor allem in den Preiskategorien Frieden und Literatur kommt es nahezu jedes Jahr zu vereinzelter bis heftiger Kritik." 
  • Der Medien-Hype um den chinesischen Künstler Ai Weiwei, der fast täglich im Deutschen Fernsehen zu sehen ist. Er ist wohl ein großer Künstler (das kann ich nicht beurteilen) und sicher ein couragierter und mutiger Mann mit viel Zivilcourage. Und es ist gut, wenn Menschenrechtler vom Ausland Solidarität erfahren.
 __________________________________

Die Kritik, die an der Vergabe von Nobelpreisen geübt wird (siehe oben) kann noch ergänzt werden durch die häufige Frage, warum gerade diese Personen und gerade aus diesem Land mit einem bedeutsamen Preis gewürdigt werden, andere gleich würdige Leistungen  von Wissenschaftlern oder andere ebenso würdige Menschenrechtler aus anderen (bevorzugt "westlichen") Ländern aber nicht oder weniger häufig berücksichtigt wurden. - Vielleicht erinnern Sie sich an umstrittene Verleihung der Friedensnobelpreise an Henry Kissinger (1973) und Barack Obama (2009). 

In jetzigen Fall kommt das "Gschmäckle" (der Beigeschmack) daher, dass so viele Chinesen ausgezeichnet werden, die in Opposition zur Regierung stehen. - Das mag aus der Sicht von "Freiheit und Menschenrechten" verständlich und gut sein, aber in Zeiten, wo "der Westen", in diesem Fall die USA, ihre Kriegsflotte wieder gen China ins südchinesische Meer schickt, könnte auch kein Schelm sein, wer Böses bei den Preisvergaben denkt. 

__________________________________


Sonntag, Juni 24, 2012

Von Aufstockern, Kombi-Lohn und Mindestlöhnen


Jobwunder

  ________________________________________


Im Jahr 2002 hat die Regierung Schröder mit den staatlichen  Lohn-Zuschüssen zum Billig-Lohn begonnen.Der Steuerzahler zahlt bei den Billig-Jobs (in Putzkolonnen, im Friseurgewerbe, im Call-Center...) mit - etwa 60-Milliarden Euro seit 2005. *

Seit 2005
 hat Deutschland (im Gegensatz zu manch anderen europäischen Ländern, siehe Anmerkung am Ende dieses Posts) wachsend gute Arbeitsmarkt-Zeiten. Die Zahl der Arbeitslosen ist gesunken, allerdings kommen zu den 2,8 Millionen Arbeitslosen noch einmal 6 bis 7 Millionen Menschen hinzu, die im Niedriglohn-Sektor arbeiten: Ihr Gehalt liegt unterhalb der amtlichen Niedriglohn-Grenze (die liegt in Deutschland bei etwa 9 Euro Stundenlohn).  -  (2 Millionen Menschen etwa arbeiten für 5 Euro/Stunde.)

Seit der Wiedervereinigung
(nämlich in den Jahren 1990-2011) haben wir in Deutschland eine Zunahme von 3,4 Millionen a-typischen Jobs: Minijobs, Leiharbeit... - Gleichzeitig haben wir einen Rückgang von 3,3 Millionen Normal-Arbeitsverhältnissen. Das ist eine Folge der Agenda 2010 und der allgemeinen Verfügbarkeitsklausel, die verlangt, dass man "zumutbare" Jobs annehmen muss, wenn man nicht das Arbeitslosengeld verlieren will. Dafür wird der Lohn aber vom Staat aufgestockt.
  • Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Zahlen? Ursache und Wirkung? 
  • Werden die gut bezahlten ArbeitnehmerInnen von den Betrieben ausgemustert, um a) international konkurrenzfähig zu bleiben und b) im Inland gegenüber anderen deutschen Firmen konkurrenzfähiger (im Sinne von billiger) zu werden oder c) einfach, um ihren Aktionären maximalen Aktien-Gewinn bieten zu können? - Putzfirma X gegen Putzfirma Y? Aktien der Firma A gegen Aktien der Firma B?
  • Sollte der Staat das nicht verbieten und für jede Branche einen Mindestlohn festsetzen, wie es das in 12 oder 13 Branchen in unterschiedlicher Form schon gibt?
    Dann könnte er doch viel Steuergelder sparen, die er jetzt für das Aufstocken der Gehälter ausgeben muss... 
______________________________

Zur Zeit gibt es in Deutschland insgesamt etwa 41 Millionen ArbeitnehmerInnen.
1,4 Millionen davon können von ihrem Gehalt nicht leben und müssen/können es aufstocken mit Arbeitslosengeld 2 (man könnte auch sagen: sie können/müssen Sozialhilfe beziehen oder leben als Aufstocker vom Kombi-Lohn; kombiniert Gehalt plus Arbeitslosengeld). 

Von diesen 1,4 Millionen wiederum haben etwa ein Fünftel (270.000-300.000) eine Vollzeitstelle oder: vier Fünftel dieser Aufstocker oder gut 1 Million ArbeitnehmerInnen haben eine Teilzeitstelle oder einen Minijob.
Egal ob sie eine volle oder eine Teilzeitstelle haben, alle werden als "Aufstocker" bezeichnet. 

______________________________

Nun sagen Manche: Die Arbeitgeber nutzen den Sozialstaat aus.  

Statt den Menschen, die einen Vollzeitjob haben, ein Gehalt zu zahlen, von dem sie leben können, zahlen sie ihnen einen "Dumping-Lohn". Statt Vollzeit-Jobs zu vergeben, stellen sie Leiharbeiter an und vergeben Aufträge an billige Sub-Unternehmen. 

Der Niedrig-Lohn führt einerseits dazu, dass die deutsche Wirtschaft gegenüber anderen Ländern konkurrenzfähiger ist (das ist das, was Griechenland, Italien, Spanien Deutschland vorwerfen...), zweitens führt es dazu, dass die Profite der Unternehmen und Aktiengesellschaften höher werden, drittens können die Unternehmen ein gutes Gewissen dabei haben, denn die Dumpinglöhne werden ja vom Sozial-Staat durch Arbeitslosengeld 2 aufgestockt, so dass die Familien nicht Hunger leiden müssen (wie in anderen Ländern). 

Zwei Seiten einer Medaille
So kann das Arbeitslosengeld (das Aufstocken, der Kombilohn...) als Subventionierung der deutschen Wirtschaft durch Steuergelder gesehen werden, um sie durch Niedriglöhne international konkurrenzfähiger zu halten. - Oder auch als soziale Maßnahme des Sozial-Staates, der mit Steuergeldern die ArbeitnehmerInnen unterstützt, die keine volle Stelle gefunden haben oder vom Lohn ihrer vollen Stelle nicht leben können.

______________________________

Wundermittel Mindestlohn?

Kann man mit ihm nicht die Armut in Deutschland abschaffen? Jedem einen existenz-sichernden "gerechten" Lohn zahlen? Einen hohen Beschäftigungsgrad erhalten? 
  • Nein, sagt der Kritiker. Denn wenn das Unternehmen nicht genug Profit macht, wird es einfach weniger Leute einstellen bzw. sie raus-schmeißen mit dem Argument "Ich kann dich leider nicht mehr bezahlen". - Mindestlöhne bewirken Arbeitslosigkeit.
  • Ja, sagt der Befürworter, weil sich - wie Untersuchungen der Bundesregierung belegen, z.B. in der Pflegebranche, in der es Mindestlöhne gibt -  sich gezeigt habe, dass die ArbeitnehmerInnen zufriedener sind, wenn sie angemessen bezahlt werden, deshalb besser, engagierter und loyaler arbeiten, die Qualität der Arbeit steigt,  und gleichzeitig konnten an anderer Stelle dadurch die Mehrkosten ausgeglichen werden können. 
 ________________________________________

Quellen: Dr. Rainer Hank, Ressortleiter Wirtschaft der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung"
Prof. Dr. Rudolf Hickel, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Bremen
  ______________________________

*Im Mai 2012 lag die offizielle Arbeitslosenquote in Deutschland bei 6,7%, das sind etwa 2,8 Millionen Menschen. Je nach Region schwankt sie zwischen 3,5 und 12,2% . -  
Zum Vergleich: In Spanien lag sie im ersten Quartal 2012 über 24%, in Italien bei 9,5%, in Griechenland bei 19,3%.

Neben der offiziellen Arbeitslosenquote gibt es noch die verdeckte und versteckte Arbeitslosigkeit, die in der Statistik nicht auftaucht.
______________________________

Freitag, Juni 22, 2012

Von der Vietnamisierung zur Afghanisierung


Es ist irgendwie immer dasselbe Spiel:

Zunächst zu Vietnam.

September 1945:
Ho Chi Minh, Revolutionär und Politiker, Premierminister (1945–1955) und Präsident (1955–1969) der Demokratischen Republik Vietnam, rief nach der erfolgreichen Revolution gegen japanischen Imperialismus und französischen Kolonialismus die Demokratische Republik Vietnam aus. Vietnam war damit die erste unabhängige Republik Südostasiens. Das währte nicht lange. 
Anfang Oktober 1945 landeten französische Truppen schon wieder in Vietnam und stellten ihre Kolonialmacht in Vietnam wieder her.

Die Regierung in Süd-Vietnam war unpopulär,
Studenten und Buddhisten protestierten gegen die Regierungspolitik. Bis 1960 versank Südvietnam immer mehr in Korruption und Chaos. Die USA sahen sich veranlasst, ihre Unterstützung für Südvietnam zu verstärken, um den Sturz des süd-vietnamesischen Regimes zu verhindern - aus Angst, ganz Vietnam könnte kommunistisch werden und danach ganz Asien ("Domino-Theorie"). -
 
1964 fingierten die USA selber einen Zwischenfall im Golf von Tonkin, 
bei dem ein US-amerikanisches Kriegsschiff in ein Gefecht mit nordvietnamesischen Schnellbooten verwickelt wurde. Der Zwischenfall wurde von der US-Regierung unter dem damaligen (demokratischen) Präsidenten Lyndon B. Johnson als Vorwand benutzt, um anschließend massive "Vergeltungsangriffe" auf das kommunistische Nordvietnam zu beginnen.  
Bis 1968 eskalierte der Krieg, obwohl die USA Nordvietnam militärisch weit überlegen waren. Den Vietcong Südvietnams gelang ein politisch wichtiger Sieg: In der monatelangen Tet-Offensive nahmen die  Partisanen Südvietnams vorübergehend Teile der Hauptstadt Saigons und weiterer Städte ein. Die gut gesicherte Botschaft der USA in Saigon wurde angegriffen, in den USA konnte nun die Regierung nicht mehr behaupten, dass der Konflikt unter Kontrolle sei. Es war offensichtlich, dass der Krieg nicht mehr gewonnen werden konnte, die öffentliche Meinung in den USA schwenkte um, nicht zuletzt aufgrund von Presseberichten und Bildreportagen über Kriegsgräuel, Massaker (My Lay)  und Napalm-Opfer


Schon 1967 war der US-Regierung klar geworden: Das wird nichts mehr in Vietnam. 

Ab 1968 wird der Krieg "vietnamisiert", 
die USA kündigen ihren Abschied aus Vietnam an, einheimische süd-vietnamesische Truppen sollen die us-amerikanischen ablösen.  Johnson kündigte 1969 überraschend an, nicht noch einmal als Präsident zu kandidieren und der Republikaner Richard Nixon folgt ihm im Amt. Nixon sucht verzweifelt einen Verhandlungspartner, der zwischen den USA und Nordvietnam vermitteln könnte, um den verlorenen Kampf in Vietnam mit Anstand beenden zu können: Nach Jahrzehnten nehmen die USA wieder Kontakt zu China auf, zur Volksrepublik China (Ping-Pong-Politik) , das seit 1949 von Mao dominiert wurde.  1972 im Februar besucht Nixon den 83-jährigen Mao in Peking, möchte über Vietnam reden, doch Mao lässt ihn am langen Arm verhungern: Mao möchte lieber über Philosophie reden, sagt er. Im März 1972 beginnt Nordvietnam, (das von China finanziell aber nicht mit Truppen unterstützt wurde) die größte Attacke des gesamten Vietnamkrieges und zeigt der Welt, wer Herr im Hause Vietnam ist ("Oster-Offensive"). 
 
1975
werden die letzten verbliebenen Vertreter der USA evakuiert. Am 30. April wurde Saigon eingenommen, Südvietnam kapitulierte bedingungslos, der Vietnamkrieg war damit zu Ende.
Am 2. Juli 1976 wurden Nord- und Südvietnam unter dem Namen Sozialistische Republik Vietnam wiedervereint
Saigon, die ehemalige Hauptstadt Südvietnams, wurde in Ho-Chi-Minh-Stadt umbenannt.
Quelle: wikipedia und eigene Quellen

_____________________________________

Und nun zu Afghanistan:

1979 marschiert die Sowjetunion ein.
Den sowjetischen und afghanisierten Regierungstruppen gelang es trotz ihrer militärischen Überlegenheit und Lufthoheit nicht, den Widerstand der der Afghanen zu brechen. - Schließlich zogen die sowjetischen Truppen zwischen 1988/1989 endgültig ab. Afghanistan hatte zwischen ein und anderthalb Millionen Tote zu beklagen, fünf Millionen Menschen waren wegen des Krieges aus dem Land geflohen. 
Im Herbst 2001 beginnt die schon lange angedachte US-geführte Intervention in Afghanistan.  Die Terroranschläge am 11. September 2001 auf das World-Trade-Zentrum in New York und die Suche nach Osama Bin Laden liefern den Vorwand. 

"Ob Bellizisten oder Pazifisten: Sie alle machen sich etwas vor. Sie verkennen die tieferen Gründe für diesen Krieg, für jeden Krieg der Neuzeit (mit der Ausnahme des Zweiten Weltkriegs, der tatsächlich ein Kampf Gut gegen Böse war). Reden wir also einmal nicht vom Brunnenbauen oder Terrorismusverhindern, nicht von der berechtigten Nato-Strafaktion gegen Taliban und al-Qaida in Afghanistan unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Reden wir von Geopolitik, von Militärbasen und Bodenschätzen, von Pipelines und Drogenrouten. Cui bono: Reden wir darüber, wer heute wirklich warum in Afghanistan kämpft." ... 

Kein Ausweg aus der Sackgasse Afghanistan?

Afghanisierung
Auf der Afghanistan-Konferenz 2010 in London wurde die Übergabe der militärischen Verantwortung an die afghanische Armee sowie ein Zeitplan für den Abzug der internationalen Streitkräfte diskutiert.
Auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010 verkündete die NATO, ab 2011 die Verantwortung über die Sicherheit der ersten afghanischen Provinzen an die Afghanische Nationalarmee zu übergeben.

Nachdem Kanada schon 2008 mit dem Abzug der Truppen drohte, beschloss das Land schließlich 2010, den Einsatz 2011 zu beenden. In der Diskussion spielte die, gemessen an der Bevölkerungszahl Kanadas, unverhältnismäßig hohe Anzahl von Toten, die das Land zu beklagen hat, eine entscheidende Rolle. In den Niederlanden brach nach ähnlichen Auseinandersetzungen die Regierung 2010 auseinander und es wurde ebenfalls der Abzug beschlossen.Die australische Ministerpräsidentin Julia Gillard teilte am 17. April 2012 mit, dass die Truppen ihres Landes bereits 2012 mit dem Abzug beginnen werden.

Der längst verlorene Krieg in Afghanistan

Und wie geht`s weiter? man wird sehen...

_________________________________

Sonntag, Juni 03, 2012

"All Under the Heaven Is Great Chaos"


Apropos Chaos:

Bis zum 10 Juni kann man in Zürich im Völkerkundemuseum der Universität noch eine Ausstellung zur Kulturrevolution in China (1966-1976) ansehen:
"Die Kultur der Kulturrevolution
Personenkult und politisches Design im China Mao Zedongs".

Aus der Ausstellung:
Uhrenfabrik Peking, um 1970Der Arm einer Rotgardistin schwenkt eine Mao-Bibel im Sekundentakt, ein Transparent trägt die Aufschrift "Lang lebe der Vorsitzende Mao", Dieser Wecker in einer typischen Form der 1950er Jahre gehört zu den berühmtesten Objekten der Kulturrevolution. Nach der Auflösung der Roten Garden auf Anweisung Maos verschwand er aber Anfang der 70er Jahre aus den Geschäften.
_______________________________________

Der Ausspruch "All Under the Heaven Is Great Chaos" stammt übrigens auch aus dieser Zeit. Der "Vorsitzende Mao" verwendete ihn damals öfter, z.B. in einem Gespräch mit dem damaligen Albanischen Verteidigungsminister Bequir Balluku. Es ging in dem Gespräch u.a. um China und die internationalen Studenten- und Arbeiter-Aufstände im Mai 1968 in Deutschland, in Frankreich und anderswo. In dem Gespräch am 1.10.68 wunderte sich Mao, dass es trotz der Unruhen in Frankreich nicht zu einer "richtigen" Revolution kam - und lieferte die Erklärung gleich mit:

Mao Zedong: 
"Es stimmt, dass die Sowjetunion schlecht ist, aber sie kann ihre Bevölkerung noch materiell versorgen. Sie haben zwar z.B. nicht genug Nahrungsmittel, aber sie können sie im Ausland kaufen. -
Ein anderes Beispiel ist Frankreich, ein kapitalistisches und imperialistisches Land. Obwohl dort im Mai dieses Jahres eine große rebellierende Bewegung entstanden ist, konnte Frankreich seine Bevölkerung weiter mit materiellen Gütern versorgen. - Unter diesen Umständen ist es schwierig, eine Regierung zu stürzen."
Spielzeugsoldat mit Handgranate, Gummi, 13 x 7 x 6 cmDie Zeit der Kulturrevolution war in China auch von Kriegshysterie gezeichnet. Man hatte Angst vor einem Angriff der USA im Zuge des Vietnam-Krieges oder vor einem nuklearen Präventivschlag der Sowjetunion (mit der Peking mittlerweile verfeindet war). Auch Kinder wurden auf den Krieg vorbereitet. Militärisches Training gehörte zum Lehrplan in den Schulen. Man grub überall Schutztunnels und legte Vorräte für mögliche Kriegszeiten an.
 _______________________________________


Genau 43/44 Jahre später, Mai 2011 und Mai 2012

scheint wieder Großes Chaos unter dem Himmel zu sein. 
In 3Sat-kulturzeit hieß es am 25. Mai 2012:
"Vielleicht war das neulich nur so ein Tag, ungefähr 2 Minuten Nachrichten wert. Aber wer am letzten Freitag durch Frankfurts City ging, musste glauben, dass ein Terrorakt bevorstehe. ... So viel Staat war unterwegs, um das Bankenviertel zu schützen vor Bürgern, die wegen der europaweiten Finanzkrise protestieren wollten. Die Polizei schützt die Banken - vor der Bevölkerung. Letzter Freitag in Frankfurt, Helme und Kampfmontur zur Verteidigung der Finanzinstitute.... 
  • Spanien: eine ganze Generation geht auf die Straße, sie fühlt sich von ihren Politikern nicht mehr vertreten.
  • Athen: offene Gewalt gegen die Regierenden, das ganze politische System wackelt."

In diesem Zusammenhang warnt Prof. Ulrich Beck, Soziologe, London School of Economics, einer der einflussreichsten Soziologen Deutschlands, vor den Folgen für die Demokratie

„Ich meine, so ein Wort kommt eigentlich leicht über die Lippen. Aber in dieser Situation entsteht sowas wie vorrevolutionäre Situationen, die immer so lange verdeckt bleiben - wir haben das ja auch an der DDR erlebt - dann lange Zeit dachte man, die Fassaden funktionieren. Keiner hat erwartet, dass das plötzlich so schnell zusammenbrechen kann. Aber ähnliches erleben wir eigentlich heute auch in den westlichen Staaten.“
Wenn Mao Zedong damals Recht hatte, wird aus den Rebellionen in Griechenland, Spanien, Italien, Frankfurt usw. keine "richtige" Revolution. - Erst dann, wenn die Regierungen ihre Bevölkerung nicht mehr materiell versorgen können...
 ________________________


Übrigens:

Im aktuellen Bericht des Club of Rome (Jorgen Randers:
"2052. Der neue Bericht an den Club of Rome: Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre") sagt Karl Wagner eine Revolution für die 2020er Jahre voraus, wenn die jüngere Generation die Nase voll hat. -Schaun wir mal....

Vielleicht sieht man sich bei der Ausstellung im Völkerkunde-Museum in Zürich?



Die Ausstellung zeigt anhand einer ungewöhnlichen Sammlung von Alltagsobjekten und Zeitdokumenten die Durchdringung der chinesischen Gesellschaft mit Symbolen und Parolen des Mao-Kultes. Durch die Einbindung in den zeithistorischen Kontext offenbaren sich Gegenstände, die zunächst als verklärender "Kitsch" erscheinen – Mao-Plaketten in Gestalt rot leuchtender Herzen, Wecker mit Rot-Gardisten/innen, die Mao-Bibeln schwingen, lieblich dekorierte Vasen, Teller und Tassen mit Mao-Sprüchen – als bewusst von den und für die Massen erschaffene Informations- und Werbeträger.

________________________