"Ich werde nie das Gespräch mit einer türkischen Friseurin vergessen. Ich war erst reichlich maulfaul, als sie meine Haare schnitt. Ich erwartete mir von dem Gespräch nichts. Als wir dann doch ins Reden kamen, geriet ich prompt mit ihr in Streit. -
Sie, lobte die im islamischen Kulturbereich übliche Unterordnung der Frau unter den Mann so glühend, dass ich um meine - mühsam errungenen - feministischen Positionen fürchtete und Renan innerlich rasch als Fundamentalistin denunzierte. Doch dann musste ich, ob ich wollte oder nicht, aufhorchen.
Natürlich konnte man über ihre Position anderer Meinung sein. Aber was sie mir über das Ansehen und die Rolle der islamischen Frau in der Großfamilie berichtete, den bedingungslosen Schutz der Sippe, die Verbundenheit mit den Schwiegereltern, das Leben aus der Kraft der Familie, das belegte Punkt für Punkt das, was ich aus den Büchern der positiven Psychotherapie des persischen Arztes und Psychoanalytikers Peseschkian kenne - die Familie als emotionale Tankstelle und Ort der Gebundenheit anstelle des westlichen Single-Individualismus. Seitdem sehe ich, bei allen Vorbehalten, auch türkische Frauen mit Kopftüchern differenzierter.
Hinter meinen Vorurteilen, so weiß ich seit damals, steckt die Angst vor dem Unbekannten, nicht zuletzt die Angst davor, mein manchmal so graues und provinzielles Deutschsein der Infektion exotischer Träume auszusetzen.
Wir haben die Chance, in der Angst neue Werte unseres Lebens zu entdecken, uns und die Umwelt zu ändern."
Mathias Jung (* 1941), deutscher Philosoph, Psychotherapeut
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