Montag, August 27, 2018

Chemnitz und anderswo: "Wir jagen sie"

"Polizeiruf 110" in der ARD vom 18.8.2018 - exakt eine Woche vor der Jagd auf Nicht-Weiße in Chemnitz:
Vier Jugendliche (er-)schlagen in München einen farbigen Mann muslimischer Herkunft, der ein deutsches weißes Mädchen mit einem Messer bedrängt und bedroht haben soll. - Kriminalhauptkommissar Hanns von Meuffels versucht die Vorgänge zu klären und gerät dabei in einen Sumpf von Halbwahrheiten. ...
In Chemnitz fing alles damit an, dass BILD berichtete, ein Ausländer habe eine deutsche weiße Frau mit einem Messer bedrängt und erstochen: Die halbe Wahrheit. Das Opfer war ein männlicher Deutsch-Kubaner. 
King Kong und die weiße Frau
Deutscher Originalverleihtitel vom Jahresende 1933:
Die Fabel von King Kong.
Der Film startete am 1. Dezember 1933
in den deutschen Kinos.

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Im Polizeiruf-Film galt immerhin noch die Gewaltenteilung, man ging zur Polizeiwache, um die genauen Tat-Vorgänge zu klären (auch das endete allerdings böse); in Chemnitz griffen 800 oder 1000 Menschen nach einem Aufruf ultra-rechter Netzwerke gleich zur Selbstjustiz . AfD Bundestagsabgeorneter Markus Frohnmaier fand das hinterher gut so und twitterte: “Heute ist es Bürgerpflicht, die todbringendendie ‘Messermigration‘ zu stoppen!” Und: “Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!” [Quelle]

Die Polizei war überfordert. Die Polizei in Chemnitz war auch am Abend darauf wieder überfordert.

Mich erinnert das an die Bürgerrechts-Bewegung (Martin Luther King, Malcolm X ...)in den USA der 1950er und 1960er Jahre, als die Polizei in den Südstaaten der USA sich ebenfalls "überfordert"(?) zeigte, die neuen Bürgerrechts-Gesetze  umzusetzen. Der US-Präsident sah sich genötigt, Bundestruppen, die Nationalgarde, in die Südstaaten zu entsenden, um dort Recht und Gesetz auf der Straße durchzusetzen. Die Polizei in den Südstaaten war überfordert, weil sie selber mit Rassisten durchsetzt war. Wenn bei den letzten Bundestagswahlen (2017) die AfD mit 27% der Stimmen stärkste Partei in Sachsen wurde, kann man wohl davon ausgehen, dass auch innerhalb der sächsischen Polizei das AfD-Gedankengut entsprechenden Zuspruch findet.
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September 2017
Quelle
"Da wir ja nun offensichtlich drittstärkste Partei sind, kann sich diese Bundesregierung (…) warm anziehen. Wir werden sie jagen, wir werden Frau Merkel oder wen auch immer jagen – und wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen."  
Alexander Gauland nach dem Einzug der AfD mit rund 13,4 Prozent in den Bundestag Ende September 2017. ___________________________________________________

Sonntag, 26.8.2018, Menschenjagd in Chemnitz

Nach dem gewaltsamen Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz sind hunderte Rechtsradikale durch die sächsische Stadt gezogen; die Polizei sprach von 800 Menschen, die sich am Sonntag gegen 16.30 Uhr versammelten. Auf Facebook hatte eine Ultra-Gruppe des Chemnitzer FC das Motto ausgerufen:  
„Zeigen, wer in der Stadt das Sagen hat.“
Dem kam die Menge nach und veranstaltete regelrechte Jagdszenen auf Migranten, wie Nutzer auf Twitter schrieben. In einem Video ist zusehen, wie dunkelhaarige Menschen von pöbelnden Rechten gejagt werden. „Haut ab! Was ist denn, ihr Kanaken?“ [Quelle]

  • Elendes Viehzeug!
  • Das ist unsere Stadt!
  • Raus aus unsrer Stadt!
  • Wir sind das Volk!
  • Für jeden deutschen Toten einen deutschen Ausländer!
  • Merkel raus!
  • Wie die rennen, die Zecken, das gibt`s ja nicht!
  • Deine Kinder, die sollen sie mal abstechen! 
  • Das System ist am Ende - Wir sind die Wende! [Quelle AfD-Livestream]
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„Jetzt sehen Sie, wie Jagd geht, wir sind beim Jagen“
Gemeint war damals die Jagd auf CDU und CSU,
um diese weiter nach "rechts" zu treiben. -

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Ortswechsel. Rottenburg am Neckar, 2014,
der CDU-Oberbürgermeister spricht:


Bei einer Feier des Rottenburger Bezirksseniorenrats sagte der OB, kurz vor der Europawahl 2014, vor etwa 60 Gästen, die rechtspopulistische AfD sei brandgefährlich, und dann folgende Sätze:
"Man sollte nicht solchen AfD-Nazis auf den Leim gehen. Die sind schlimmer als
die NPD, denn die sagt wenigstens, was sie vorhat."
Zwei Personen zeigten Neher an,
und die Staatsanwaltschaft Tübingen nahm Ermittlungen auf, u.a. wegen übler Nachrede und Verleumdung. Letztendlich wurde das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 3000 Euro eingestellt: Je 1000 Euro an den Förderverein für krebskranke Kinder, die Deutsche Rettungsflugwacht und den Verein Jugend und Bewährungshilfe.
Inaltlich sieht sich Neher weiter im Recht. Den Begriff "AfD-Nazis" hätte er jedoch besser vermieden, sagte er später, und sie Nationalisten nennen sollen.
Im März 2018 richtete die Stadt Rottenburg die "Internationalen Wochen gegen Rassismus" aus. In einem Grußwort sagte der OB, dass das Erstarken extremer politischer Parteien ein friedliches Zusammenleben in Respekt und Toleranz gefährde. Mit der AfD sitze im Bundestag nun,
"eine Partei bei der Ausländerfeindlichkeit und Rassismus im Programm stehen". 

Mitte August 2018 bekommt der OB Post von der Kripo: Erneut eine Anzeige.
Neher wehrt sich:
"Dass die AfD populistisch gegen Flüchtlinge und Ausländer*innen Stimmung macht, ist offensichtlich, wenn die Landtagsfraktion in Baden-Württemberg unsere Landtagspräsidentin Aras aufgrund ihrer türkischen Wurzeln nicht als Präsidentin akzeptiert, wenn Herr Gauland die frühere Integrationsbeauftragte Aydan Özogus (SPD) am liebsten in Anatolien entsorgen will oder wenn Alice Weidel im Bundestag davon spricht, dass 'Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Mesermänner und sonstige Taugenichtse' nicht den Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat in Deutschland sichern." 
Diesmal wird er kein Bußgeld zahlen, betont der OB auf Anfrage. "Ich gehe davon aus, dass das Verfahren ohne Auflagen eingestellt wird", sagt er. [Quelle]

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Wien, 1930er Jahre. Wehrte den Anfängen.

Unbequem war Karl Kraus vor und dann auch nach dem Ersten Weltkrieg,
alarmiert durch die Vorboten des aufziehenden Nationalsozialismus.
Karl Kraus war einer der gefürchtetsten Kritiker der Zwischenkriegszeit in Österreich und pflegte wichtige Gegner in seiner Zeitschrift Die Fackel publizistisch zu „erledigen“. Den Polizeipräsidenten Johann Schober, der den stark überschießenden Polizeieinsatz vom 15. Juli 1927 verantwortete, forderte er auf Plakaten zum Rücktritt auf. Plakattext: "Ich fordere Sie auf, abzutreten".
Immer eindringlicher warnte er vor der drohenden "Entmenschlichung" nach einer möglichen Machtergreifung Hitlers, wie etwa in der Vorlesung "Hüben und Drüben" , wo er auch die sich mit dem Nationalsozialisten arrangierte Sozialdemokratie attackierte. [Quelle]


 

Bundeskanzler Österreichs war ab 1932 Engelbert Dollfuß.

Engelbert Dollfuß
(*1892 in Texing, Niederösterreich; ermordet im Bundeskanzleramt am 25. Juli 1934 in Wien) war von 1932 bis 1934 Bundeskanzler, Österreichs - ab 5. März 1933 diktatorisch regierend.

1932 auf demokratischem Weg ins Kanzleramt gelangt, nutzte der christ-soziale Dollfuß eine Geschäftsordnungskrise bei der Nationalratssitzung vom 4. März 1933 zu einem Staatsstreich. Nach der Ausschaltung von Parlament und Verfassungsgerichtshof regierte Dollfuß diktatorisch per Notverordnung. Dem italienischen Faschismus und der katholischen Kirche nahestehend, lehnte er den Nationalsozialismus deutscher Prägung, die durch die Verfassung garantierte pluralistische Demokratie, den demokratischen Rechtsstaat und die Sozialdemokratie ab. Dollfuß war Begründer des austrofaschistischen Ständestaats.
Dollfuß hatte einen Staatssekretär für Sicheitsfragen,  Emil Fey, dem sein Kanzler nicht "rechts" genug war; Fey liebäugelte mit Hitler und dem deutschen Nationalsozialismus. -  Kurze Zeit war Fey auch Österreichs Vizekanzler, doch Dollfuß traute im zu Recht nicht so richtig über den Weg und entmachtetete ihn nach und nach immer mehr. Am 25. Juli 1934 gab es dann einen nationalsozialistischen Putsch gegen die österreichische Regierung; Fey war bei Dollfuß im Bundeskanzleramt und stand immer wieder im Verdacht, mit den Putschisten zu sympathisieren. Kanzler Dollfuß wurde von Otto Planetta und einem anderen Putschisten, vor denen er zu flüchten versuchte, je einmal angeschossen und verblutete, weil ihm die Putschisten ärztliche Hilfe verweigerten. Der sog. Juliputsch scheiterte, weil sich das Heer nicht auf die Seite der Putschisten schlug.
Auf diesen Putsch bezieht sich die Szene aus dem Roman(!) "Die Überwindlichen" (2018):



Karl K. [Karl Kraus] träumte, er saß in einem Raum in der Nähe von Engelbert [Dollfuß]. Der Raum befand sich in einem Palast, der Palast in der Nachbarschaft der Wiener Hofburg. [...] Aus dem Raum gingen etliche Männer hinaus. Karl K. wußte im Traum sogar, sie waren Mitglieder eines Ministerrats, Engelberts Vertraute, und jetzt verschwanden sie.
Karl K. wollte im Traum Engelbert warnen. Er müsse vorsichtig sein, er schwebe in Gefahr. Aber er wußte nicht genau, um was für eine Gefahr es ginge, und er konnte in diesem Traum kein einziges Wort aussprechen.
Die Tür öffnet sich, ein Mann tritt ein. Er heißt Friedrich von lsenberg [Emil Fey?] . Er ist in diesem Traum der Innenminister des österreichischen Ständestaates. Er ist um einen Kopf größer gewachsen als Engelbert. Er sagt, Engelbert müsse vorsichtig sein, er schwebe in Gefahr. Man plant einen verbrecherischen Anschlag gegen ihn. Die Mörder wimmeln in der ganzen Stadt, sie lauern schon um den Palast. Engelbert soll die Flucht ergreifen, aber schnell, ein bißchen schneller. Es gibt einen geheimen unterirdischen Gang, der zur Hofburg führt. Dort wäre er vorübergehend in Sicherheit.

Engelbert antwortet, er habe sich einer Gefahr bisher noch nie durch Flucht entzogen, auch nicht im Krieg, wo er tüchtig und mutig kämpfte. Er habe eine Sendung, die in der Rettung dieses Landes vor dem Untergang bestehe, und solange er lebt und diese Aufgabe besteht, wird er den Palast, wo sie sich jetzt befinden, nicht verlassen. Solange er lebt und seine Tätigkeit in diesem Palast ausübt, kann unsere Heimat nicht untergehen, sie kann ihre Selbständigkeit nicht verlieren.
Da er zierlich von Statur ist, nennen ihn seine politischen Feinde verächtlich „Millimetternich". Er heißt bei ihnen auch „Der Noch-nie-dagewesene". 
Der Innenminister, der auch das Amt „Generalstaatskommissär für außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen" bekleidet, entgegnet seinem Oberhaupt: In diesem Fall fühle er sich gezwungen, den Polizeipräsidenten anzurufen und um eine bewaffnete Schutzwache zu bitten, sonst könnte er die Sicherheit des Bundeskanzlers nicht garantieren, denn die Gewehre der Ehrenwache vor dem Palast sind mit Platzpatronen geladen.
Er tritt zum Telephonapparat und führt ein kurzes Gespräch, dessen Worte Karl K. im Traum zwar hören, jedoch nicht verstehen kann. Dann kommt er zurück und sagt seinem Oberhaupt mit klaren, verständlichen Worten, daß ein Lastkraftwagen mit vierzig bewaffneten Polizisten, die Engelbert vor seinen Feinden beschützen sollen, in acht bis zehn Minuten ankommt.
Und Karl K. hört schon im Traum den Motorlärm des Wagens, der ankommt, um Engelbert zu beschützen. Und er sieht im Traum durch das Fenster, wie die Mannschaft der Ehrenwache mit Platzpatronen aus dem offenen Tor hinausmarschiert, um Engelbert zu beschützen, wie der Lastwagen mit den Bewaffneten in Polizeiuniform hereinfährt, um Engelbert zu beschützen, wie sie hinabspringen und das Tor hinter sich schließen, wie sie mit stampfenden Stiefeln die Treppe hinauflaufen, um Engelbert zu beschützen. Sie umringen Engelbert, um ihn zu beschützen.
Ein Schuß fällt im Traum, und Engelbert sinkt zu Boden im Traum. Er lebt noch im Traum. Er wälzt sich in einer Blutlache und röchelt im Traum.
„Wir möchten dich nur gefangennehmen, sonst tun wir dir nichts!" - sagen die Beschützer und ziehen ihrem Schützling den Trauring vom Finger, dann schnallen sie ihm auch die Armbanduhr ab. Engelbert bittet um einen Arzt, sonst werde er verbluten.
„Wir möchten dich als Geisel festhalten, sonst tun wir dir nichts!" - sagen die Beschützer und treten ihn mit schweren Stiefeln.
Engelbert bittet um einen Priester, damit er beichten und die letzte Ölung empfangen kann.
„Wir möchten dich vorläufig dingfest machen, sonst tun wir dir nichts!" - sagen die Beschützer und bespucken ihn. - „Das soll deine letzte Ölung sein!"
Der Innenminister, zugleich und eigentlich „Generalstaatskommissär für außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen" entsichert seinen Revolver im Traum und schießt von nächster Nähe Engelbert in den Kopf im Traum, und Engelbert liegt nun tot auf dem Boden, von eigenem Blut und fremdem Speichel beschmiert, im Traum. Als Karl K. mitten in der Nacht aus diesem Traum aufschrak, war er klatschnaß vor Schweiß.
 
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