Freitag, August 10, 2018

Deutschland, Europa und das Neue Reich. "Wenn schon die ganze Welt ihre Diktatoren hat..."

Wenn man das Buch von Thomas Karlauf liest, dann sieht man manchmal beklemmende - zumindest bemerkenswerte - Ähnlichkeiten ...

DIE ZEIT (Fritz J. Raddatz) schreibt Ende August 2007:

Aber durchaus spannt Thomas Karlauf auch den bösen Zauberkreis auf, schlägt den Zirkel zu jener Fatalität, die ebenso mit dem Namen George verbunden ist und die der Biograf keineswegs unterschlägt: "Die polemische Distanzierung von allem Politischen gehörte ins Repertoire des rechten Irrationalismus und trug dazu bei, den Boden für die braune Saat zu bereiten." Denn auch das schmählich Weihevolle wusste ein Dichter zu rhythmisieren, dem Goebbels zum 65. Geburtstag ein Glückwunschtelegramm schickte und über den Brecht sagte: "Die Säule, die sich dieser Heilige ausgesucht hat, ist mit zuviel Schlauheit ausgesucht, sie steht an einer zu volkreichen Stelle"; auch übel riechenden Dunst konnte George uns zufächern:
Der sprengt die ketten fegt auf trümmerstätten
Die ordnung, geisselt die verlaufnen heim
Ins ewige recht wo grosses wiederum gross ist
Herr wiederum herr, zucht wiederum zucht, er heftet
Das wahre sinnbild auf das völkische banner
Er führt durch sturm und grausige signale
Des frührots einer treuen schar zum werk
Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich.
Dieses schlingernde Leben weiß Thomas Karlauf nachzuzeichnen. (DIE ZEIT)
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Ich [Blogger] weiß nicht, ob Raddatz (s.o.) das so richtig sieht. George und seine Jünger sahen sich als "Staat", sprachen vom "Geheimen Reich", aber das war kein weltliches Reich, kein Reich der profanen Welt, sondern ein Reich außerhalb der profanen politischen Welt, ein Reich der Ästhetik, der Kunst, ein Reich der Dichter, ein geistiges Reich. Kunst und Leben waren für George ein Gegensatz. Wo Kunst ist (Dichtung, Lyrik) kann kein Leben (Politik) sein. Wenn beide sich berühren würden, stürbe die Kunst als würden sich Materie und Ant-Materie berühren. Der große Vogel auf dem Eiland, so George in einem Gedicht, verschied in gedämpften Scherzenslauten, als die Menschen sich zum ersten Mal seiner Insel näherten. --- George starb Dezember 1933, als die braune Saat aufgegangen war. Die er gesät hatte? Oder die andere in ihm sehen wollten?

George war kein Nationalist. Das Neue (Dichter-)Reich war ein internationales Reich. - Nach dem Abitur (1888) und einem mehrmonatigen Aufenthalt in England berief er als 20-Jähriger einen "Dichter-Kongress" ein, der aus deutschen und französischen jungen Dichtern bestehen und eine "internationale" Mappe mit Dichtung erstellen sollte, "so dass unsere mappe sozusagen die erste »Internationale« einrichtung dieser Art würde." [nach Egyptien S. 31ff]

Aus England schrieb der 20/21-jährige George an seinen Schulfreund:
„Wenn Du meinst dass ich hier meinen Kosmopolitismus ablege bist Du irr Du triffst den Nagel auf die Spitze.
Grade dadurch dass ich in dem (persönlicher Freiheit unendlich mehr gestattendem) lande bin, werde ich ein vollständiger Kosmopolit und dass ich nicht daran bin, nach der andren Seite umzukippen, und Engländer zu werden, daran hindert mich die ueberzeugung, dass auch bei uns viele einrichtungen besser sind, dass es in anderen landen noch bessere gibt, die ich alle mit eignen augen zu besehen und zu beurteilen gedenke." [Egyptien a.a.O.]
 Auf seiner Reise durch Europa nach dem Abitur lernte er in Paris den Dichter Stéphane Mallarmé, 26 Jahre älter als George,  und seinen Kreis kennen und durfte auf Empfehlung dessen berühmte Dienstagabende, die "Jours" besuchen, wo sich die Crème de la Crème der französischen (symbolistischen) Schriftsteller traf. Wie später George ließ sich Mallarmé als "Meister" (Maître) anreden, sprach von einem Reich der Kunst (cité) als Gegenentwurf zur profranen Welt und zelebrierte seine Auftritte an diesen Jours als ästhetisches Kunstwerk in einer ritualisierten Weise. [Egyptien S.37]
Nach Paris reiste George nach Spanien und sprach später davon wie formierend Spanien auf seinen Lebensweg formatierend gewirkt habe. ...
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Stefan Georges Lyrik war nie für die Massen gedacht und war/ist schwere Kost.

Quelle: Google-Suche, Screenshot
Seine [Georges] letzte Gedichtsammlung mit dem Titel "Das Neue Reich" erschien im Jahr 1928; (er starb Anfang Dezember 1933, hat also das Ende der Weimarer Republik und den Beginn des "Dritten Reiches" gerade noch mitbekommen.
  1. Das 1. Reich: Das Heilige Römische Reich. Heiliges Römisches Reich war die offizielle Bezeichnung für den Herrschaftsbereich der römisch-deutschen Kaiser vom Spätmittelalter bis 1806.[wikipedia]
  2. Das 2. Reich: Das Bismarcksche Kaiserreich.  Deutsches Kaiserreich ist die retrospektive Bezeichnung für die Phase des Deutschen Reichs von 1871 bis 1918.  Im Deutschen Kaiserreich war der deutsche Nationalstaat eine bundesstaatlich organisierte konstitutionelle Monarchie.[wikipedia]
  3. Das Neue Reich: ?

George, Verehrer der Jugend, hoffte in den 1920er Jahren, dass die Jugend ("ein jung geschlecht")  eines Tages "Den einzigen der hilft den Mann" hervorbringen werde, (den EINZIGEN Mann, der helfen kann). 
Er führt durch sturm und grausige signale
Des frührots einer treuen schar zum werk
Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich.  
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Thomas Karlauf schreibt in Anlehnung an Kurt Sontheimer:
"Weil sich die Rechte mit der Neuordnung des Staates nach 1918, also mit der Weimarer Republik, nicht anfreunden konnte und der Begriff der Deutschen Nation in der Niederlage von 1918 jede Aura verloren hatte, wurde Ende der 1920er Jahre "die Reichsidee zum wesentlichen Inhalt einer neuen politischen Metaphysik, zum Inbegriff tief empfundener und aus der Tiefe kommender Sehnsüchte". -
Auch für die jungen Gebrüder Stauffenberg.
Das Neue Reich als Alternative für Deutschland.


Zwei Jahre vor der Veröffentlichung des o.g. Gedichtbandes war "Der Meister" Stefan George mit zwei seiner "Jünger" nach Italien gereist - mit Johann Anton (auf dem Foto 1. von links) und dessen langjährigem Freund Max Kommerell (1. von rechts) - "um sich selber ein Bild vom faschistischen Neuanfang zu machen. Sein [Georges] Urteil über Mussolini fiel zwar ambivalent aus, aber gegen eine ähnliche Entwicklung in Deutschland schien er keine Einwände zu haben. Nur sei zu befürchten, dass die Deutschen den Anschluss verpassten." (Karlauf S. 581)

"Wenn schon die ganze Welt ihre Diktatoren hat,
wird sich Deutschland noch aus Idealismus für die Demokratie schlagen."
(befürchtete Berthold Vallentin, Jurist, Dichter, Historiker, 11 Jahre jünger als George, gehörte zum George-Kreis, starb wie auch George im Jahr 1933)
1924. Anton und Kommerell
mit den drei Brüdern von Stauffenberg,
Claus, Berthold und Alexander,
(2., 3. und 5. von links)

Im Jahr 1924 war Claus von Stauffenberg, der Hitler-Attentäter vom 20.Juli 1944, 17 Jahre alt, seine Zwillingsbrüder 2 Jahre älter, Stefan George Ende 50.

Stefan George (auf dem Stuhl und an der Wand)
mit seinen Bewunderern
Claus und Berthold von Stauffenberg, 1924
"Die Verachtung der des politischen Systems von Weimar ließ sich kaum steigern. Von der kompromisslosen Ablehnung der parlamentarischen Demokratie bis zu ihrer Zerstörung war es nur ein kleiner Schritt." (Karlauf S. 581)-
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Einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen »Neuem Reich« und »Drittem Reich« erkannte als Erster der Landesschulinspektor für Wien, Oskar Benda.

Quelle
Man dürfe sich von den Georgeschen Parolen nicht blenden lassen, warnte er 1931. »Welcher Deutsche, welcher Kulturmensch fühlte nicht den Drang in sich zur Nachfolge hinter diesen Fahnen als solchen! Aber wo sie zurzeit im Winde wehen, locken sie auf falsche Bahnen:
nicht zu neuem Aufstieg der Menschheitssonne >Humanitas<, sondern zu ihrem unwiderruflichen Untergang.« Leider machten sich »gerade demokratische Kreise keine annähernd richtige Vorstellung von Umfang und Tiefgang der verhängnisvollen Wirkung Georges und seiner Gefolgschaft, ja man verbeugt sich gerade hier gern mit betonter Achtung vor ihrem >Geist- und >Kulturwillen«<.

Am Ende stehe aber nicht der Geist des Neuen, sondern der Ungeist des Dritten Reichs, ja, bei genauerem Zusehen erweise sich der George-Kreis als

bewusster Schrittmacher des »Dritten Reiches«. George verhält sich zu Hitler, von den Größenverhältnissen abgesehen, in jeder Hinsicht wie D'Annunzio zu Mussolini ... Der Kreis um George hat aber zum ersten Mal in Europa den Gedanken der modernen Diktatur »vergottet« und »verleibt«. Die ganze Ideologie des italienischen Faschismus klingt wie ein Echo der Stimmen aus dem heiligen Hain Georges; alle ihre Leitgedanken: die heldische »Elite«, die »Hierarchie« und der »korporative Rechtsstaat«, sind hier vorgestaltet, und vorgestaltet ist hier zuvörderst auch die heldische Vision des Diktators. - [Oscar Benda, 1931;  Karlauf S. 581f ]
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 Siehe auch:
Quelle
Quelle





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