Samstag, November 18, 2006

Vom Imperialismus zum Kolonialismus...


Unter
"Imperialismus"
verstehen Politologen eine indirekte Kontrolle über periphäre Regionen der Erde zum Zwecke der Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen. Indirekt insofern, als das Land mittels wirtschaftliche Strukturen ausgebeutet wird oder über Stellvertreter- und Marionettenregierungen - nicht durch direkte Intervention und Besetzung.
Die Auflagen zur Strukturanpassung, die der IWF den bei ihm verschuldeten Ländern machen konnte und kann, sind zum Beispiel eine solche Form der indirekten Herrschaft.

"Kolonialismus"
nennen die Politologen (und Politologinnen) die Ausbeutung dann, wenn sie durch direkte Kontrolle und eine formelle Herrschaft über ein Land oder eine Region geschieht. Der Imperialismus geht - historisch betrachtet - oft dann in Kolonialismus über, wenn es dem Imperium darum geht, Mit-Konkurrenten in der Region auszuschalten; oder wenn sich die Region gegen die Ausbeutung wehrt durch Widerstand, Aufstände oder Revolution.

Heute
sind "wir" dabei, (die EU, die USA...) erneut diese Schwelle zu überschreiten. Grund dafür sind wachsende Widerstände gegen die weltweit vorherrschende Politik des Neoliberalismus, die insbesondere die USA zwingen, neue Seiten aufzuziehen und zu verschärften Mitteln zu greifen:
Es hat sich eine breite Anti-Globalisierungsbwewegung gebildet, der Islamische Fundamentalismus versucht Gegenstrukturen zu schaffen, in Lateinamerika (in Venezuela, Bolivien, Nicaragua und anderswo) wird neuerdings wieder links gewählt, die Armuts-Schere geht immer weiter auseinander, man spricht in manchen Ländern von IWF-Riots, von Aufständen gegen die Strukturanpassungsprogramme des IWF; durch steigende Rohstoffpreise können sich Länder aus der Schuldknechtschaft des IWF befreien, indem sie ihre Schulden vorzeitig zurückzahlen...- Kurzum: Es knirscht gewaltig im System.

Der Widerstand und die Kriege
entstehen nicht aus dem Nichts. Untersuchungen der Weltbank bestätigen, dass nicht ethnische oder religiöse Konflikte die primären Ursachen für Unruhen und Bürgerkriege sind. Sondern es gibt zwei zentrale Zusammenhänge: Die Wahrscheinlichkeit für Bürgerkriege steigt weltweit immer dort, wo Armut herrscht und zugleich Rohstoffreichtum. Wachsende Armut + Rohstoffreichtum > Unruhen und Widerstand.

Ziel der aktuellen Militärstrategien in den USA und in der EU ist es, die (durch die neoliberale kapitalistische Wirtschaftspolitik selbst erzeugten) Widerstände im Keim zu ersticken, bevor es zu einer Destabilisierung des ganzen Systems kommen kann. Bevor das ganze System zur Disposition steht, sollen die Unruhen durch direkte militärische Interventionen rechtzeitig unterdrückt werden.

Der "gut-nachbarschaftliche Imperialismus"

Begründet werden die neuen Militärinterventionen stets als selbstlose Unterfangen im Dienste der Humanität. Musterbeispiel dafür ist Joseph ("Joschka") Fischers Argumentation in seiner Zeit als grüner deutscher Außenminister im Zusammenhang mit den völkerrechtswidrigen Angriffen der NATO auf Ex-Jugoslawien; am 7. April 1999 sagte der Außenminister : „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.“ Vier Jahre vorher hatte er noch erklärt: „Ich bin der festen Überzeugung, dass deutsche Soldaten dort, wo im Zweiten Weltkrieg die Hitler-Soldateska gewütet hat, den Konflikt anheizen und nicht deeskalieren würden.“ - Ein schönes Beispiel für den Übergang zum Kolonialismus...

Und so hören sich die drei klassischen Argumentationsmuster für die militärische Intervention an:
  • Man kann ja nicht tatenlos zusehen, wenn anderswo die Menschen sich die Köpfe einschlagen.
  • Und (seit dem 11.9.2001 als Gottesgeschenk für diese Argumentation): Man muss die "Brutstätten des Terrorismus" ausrotten.
  • Und natürlich: "Wir" sind ganz unschuldig an diesem Krieg, da können wir gar nichts dazu....
Der Politologe Jürgen Wagner:
"Der gegenwärtig einflussreichste Vordenker US-amerikanischer Militärplanung ist der Pentagon-Berater und Professor am Naval War College, Thomas P. Barnett. Er vertritt, analog zur amerikanischen Sicherheitsstrategie, die Auffassung, die größte Bedrohung für die Vereinigten Staaten gehe von einer so genannten Bedrohungstriade, bestehend aus der Zunahme des Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln und dem Scheitern staatlicher Systeme aus. Diese Gefahren würden überall dort auftreten, wo sich Länder westlichen Ordnungsvorstellungen widersetzen. Deshalb sei es die Aufgabe des US-Militärs, der »Nichtintegrierten Lücke«, den Staaten, die sich nicht in das Schema neoliberaler Globalisierung einpassen (lassen), zu verdeutlichen, dass die USA nicht gewillt sind, dies zu tolerieren: »Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder weist es viele Globalisierungsfortschritte zurück, besteht eine ungleich höhere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen entsenden werden. [...] Umgekehrt gilt: Funktioniert ein Land halbwegs im Rahmen der Globalisierung, dann sehen wir in der Regel keine Veranlassung, unsere Truppen zu schicken, um für Ordnung zu sorgen, oder eine Bedrohung zu beseitigen.«"
Zu der "nicht-integrierten Lücke" zählen für ihn viele Länder Südamerikas, ganz Afrika, komplett Zentralasien, Teile Asiens...

In Europa ist Robert Cooper, Autor der Europäischen Sicherheitsstrategie ESS, der Geistesverwandte von Thomas Barnett: Allen Staaten, die sich nicht freiwillig der neuen Weltordnung unterwerfen wollen, droht, so Cooper wörtlich, "der gut nachbarschaftliche Imperialismus". Im Klartext heißt das: "Verantwortliche" Staaten dürfen notfalls auch militärisch intervenieren, um Instabilitäten in ihrer Nachbarschaft zu verhindern. Als leuchtendes Beispiel für diesen "gut nachbarschaftlichen Imperialismus" führt Cooper die "humanitäre Intervention" der NATO im Kosovo an. Das dort errichtete NATO-Protektorat zeige wie kein anderes Beispiel, wie gut »der neue Kolonialismus (!) Ordnung und Organisation« bringen kann.

Das Prinzip der Nichteinmischung - so diese Denkrichtung - gelte nicht mehr, weil diese Staaten in der Lücke (gap) "uns", den Kern (core), gefährden. Die Soldaten, die die Intervention durchführen, gelten als Body-Guards oder System-Administratoren der Globalisierung. Für Cooper, ehemals außenpolitischer Chef-Berater von Tony Blair, gelten "doppelte Standards": Rechte und Gesetze, die für "uns" im "Kern" gelten, gelten für die nicht-integrierte Lücke noch lange nicht. Dass bei "uns" Folter verboten ist, heißt nicht notwendiger Weise, dass "wir" sie im Irak nicht anwenden dürfen. Dass "wir" selber gegen den Atomsperrvertrag verstoßen ist kein Widerspruch dazu, dass wir eben dieses dem Iran vorwerfen...

Und das "Defence Science Board" des Pentagon hat auch schon ausgerechnet, wie viele Soldaten für den gut-nachbarschaftlichen Imperialismus nötig sind: 20 Soldaten auf 1000 Einwohner für 6-8 Jahre.

Treuhandschaft und Protektorat

Als 1. neues Kolonial-Regime gilt den Politologen Bosnien-Herzegowina (1995).
Als 2. der Kosovo (gemäß UNO-Resolution 1244 aus dem Jahre 1999):

Nominell gehört der (das) Kosovo zu Serbien, steht aber de facto unter Verwaltung der Vereinten Nationen. Die Sicherheit wird von der nun durch ein UN-Mandat legitimierten Friedenstruppe Kosovo Force (KFOR) unter Führung der NATO garantiert. Die politische Arbeit teilen sich die UN-Mission Kosovo UNMIK und die von ihr gegründeten lokalen „Institutionen der provisorischen Selbstverwaltung“ (PISG). - Als Leiter der UNMIK und Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs (Special Representative of the Secretary General) fungiert seit 2006 der Deutsche Joachim Rücker, vormals Bürgermeister von Sindelfingen in Baden-Württemberg.

Praktisch sind alle legislativen und administrativen Funktionen des Kosovo auf die UNMIK übergegangen. Die Gesetze, die das 120-köpfige Parlament verabschiedet, sind Makulatur, wenn sie gegen einen Erlass von UNMIK verstoßen. Die UNMIK kann Verträge mit Nachbarländern abschließen, Staatsbesitz verkaufen, streikende Arbeiter in Minen von NATO-Soldaten vertreiben lassen, Minister entlassen, eigene Vorschriften mit Gesetzes-Rang erlassen.

Die neuen Militärstrategien
Da aktuell weder die US- noch die europäischen Soldaten für eine längere Besatzung ausgebildet sind, muss die Ausbildung der Armeen verändert werden. Barnett fordert eine 2-Teilung der Truppen: Der 1. Teil ist wie bisher für die Intervention zuständig, der neue 2. Teil wird als Besatzungs-, Kolonial- oder System-Administrations-Truppe ausgebildet, um Verwaltung, Justiz, Polizei, Aufbauhilfe übernehmen zu können. Es kommt zu einer Vermischung von militärischen und zivilen Aufgaben innerhalb der Armee selber.

Auch in Deutschland kommt es in der Praxis jetzt schon zu dieser Durchmischung: In Afghanistan ist die "Schutz"-Truppe ISAF inzwischen ganz offiziell zu Angriffen ermächtigt worden (und das zuvor heimlich in Afghanistan anwesenden Kommando Spezialkräfte KSK aus Calw darf den ISAF-Truppen nun auch ganz offiziell bei ihren Angriffen auf Afghanen helfen).
Die vor Ort tätigen (ursprünglich neutralen zivilen) Hilfs-Organisationen werden gegen ihren Willen vom Militär und der Politik in dieses Konzept einbezogen und werden so für die Bevölkerung zur Kriegs-Partei. (Das Konzept nennt sich CIMIC, Civil-Military Co-operation; siehe www.bundeswehr.de).
Die Bertelmann-Stiftung, Vordenker der europäischen Verteidigungspolitik, schlägt vor, die zivile Entwicklungshilfe nur noch den Ländern zu gewähren, die bereit sind, ihre Souveränität, ihre Hoheitsgewalt im eigenen Land, partiell aufzugeben.

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