Donnerstag, Dezember 20, 2012

CHINAS "adaptiveness" - Ist das Glas halb voll oder halb leer?

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 Die VR China probiert gerade Manches aus. Manch Einer glaubt: Die Führung hat kein Konzept und keinen Plan mehr und probiert nun wild und verzweifelt Dieses und Jenes aus, um Chinas und die eigene erreichte Position auf diesem Globus nicht wieder zu verspielen. 


Der Brite Mark Leonard, Jg. 1974,  schreibt in einem Gastbeitrag der Süddeutschen Zeitung vom 8.2.2013:

Der 18. Parteikongress im November [2012] und die neue chinesische Führung markieren den Beginn einer neuen Ära: China 3.0. Das Jahr 2012 stand von Beginn an unter dem Zeichen der Veränderung. [...]

Das Dorf Wukan, in der Provinz Guangdong durfte im Januar Wahlen abhalten, um korrupte Staatsdiener loszuwerden. Die hatten das Land der Gemeinde zu viel zu niedrigen Preisen verkauft und dafür Geld kassiert. […] 
Im März 2012 stürzte Bo Xilai, der ehemalige Handelsminister, traditionelle Maoist und prinzengleich herrschende Parteichef der Stadt Chongqing - verbunden mit der Warnung aus Peking, nicht in alte Zeiten der Kulturrevolution zurückzufallen.

"All diese Reformvorzeichen sind eine Antwort auf eine tiefer liegende Krise."


So sieht es Mark Leonard. Doch wo muss man den Akzent setzen? 
  • Auf der Krise? 
  • Oder auf der Antwort? 
War die Entlassung von Bo Xilai der Beweis dafür, dass das System funktioniert und in der Lage ist, Korruption zu bekämpfen? Oder ist die Entlassung Bo Xilais ein Beleg für die Krise des Systems? 
Ist das Glas halb voll oder halb leer? 
Ist es schon halb voll und noch halb leer? 
Ist es noch halb voll und schon wieder halb leer, ein "Auslaufmodell"? 

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Andere Überschriften lauten zum Beispiel:
  • Peking steht vor gewaltigen Aufgaben - Ausgang ungewiss
  • Kleine Prinzen - große Probleme
  • Wie Chinas neues Wachstumsmodell aussehen könnte
  • Der Scheinriese
  • Außenpolitisch ist Peking weit davon entfernt, eine echte Weltmacht zu sein
Für diese Stimmen scheint das Glas eher halb leer zu sein. 
Für andere ist es dagegen halb voll: Gerade in dieser Offenheit und in dem Ausprobieren und Experimentieren mit verschiedenen Modellen zunächst im Kleinen in den Provinzen und Regionen, um die erfolgreichen Modelle dann im Großen zu übernehmen, zeige sich die Zukunftsfähigkeit (und Überlegenheit?) des chinesischen Systems. 


In der Biologie spricht man von Autopoietischen Systemen, ein vom chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana geprägte Begriff, den Niklas Luhmann auf die Betrachtung sozialer Systeme übertragen hat: Diese Systeme erschaffen sich in einem ständigen, nicht zielgerichteten  Prozess quasi aus sich selbst ständig neu und passen sich so an die veränderte Umwelt an. So wie auch alle Lebewesen in der Welt während der Evolution auto-pooietisch - sich selbst erschaffend - entstanden sind. Die Systeme produzieren und reproduzieren demnach sich selbst. So kann eine Uhr, deren Bestandteile systemisch zusammenarbeiten, nicht als "System" aufgefasst werden, denn ihr Regelwerk wurde von einem Uhrmacher hergestellt. - Zellen, Lebewesen und auch soziale Systeme können sich hingegen aus sich selber heraus verändern, anpassen, neu erfinden.
[Quelle: wikipedia]

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Aus der Sicht des halb vollen Glases stellt sich China heute in etwa so dar:  
  • TECHNOKRATISIERUNG und MERITOKRATISIERUNG des Spitzenpersonals. Wer Spitzenfunktionär werden will, muss in den Jahren zuvor schon seine Leistungsfähigkeit und Kompetenz bewiesen haben. Auch durch eine professionelle Ausbildung sollen Spitzenfunktionäre schon Kompetenzen für ihren künftigen Tätigkeitsbereich erworben haben.
  • Es gibt eine Konzentration auf ENTWICKLUNG (Developmentalism) auf allen Ebenen des Staates. Dabei wir modelliert, gebastelt, ausprobiert, immer Neues erfunden, um sich an die Herausforderungen der Gegenwart anzupassen (TINKERING, Bastelei).
  • Es gibt eine Bereitschaft zur Reform auf allen Ebenen des Staates. Auf Probleme wird pro-aktiv zugegangen, aktiv und vorausschauend.
    China hat - anders als die Sowjetunion und ihre Satelliten-Staaten - nach 1989 überlebt, weil China zu Veränderungen bereit war und nicht das alte System und seine alten Funktionäre auf Teufel komm raus retten wollte.
  • Der Zentralstaat China versucht eine BALANCE zwischen zentraler Steuerung und lokaler Autonomie zu finden. Die Steuerung erfolgt indikativ: Es gibt Rahmen-Vorgaben des Zentralstaates; innerhalb dieser Vorgaben kann die lokale Ebene selber ausprobieren.
  • Auf lokaler Ebene gibt es auch direkte Wahlen, um zu schauen, wie sich Wahlen auf die Entwicklung der Region auswirken, ob sich dieses System bewährt (aus Sicht der Kommunistischen Partei KPCh - die ja als höchstes Ziel sich selber und den chinesischen Staat erhalten will).
  • Das Land soll sich dabei umfassend WIRTSCHAFTLICH ENTWICKELN, urbanisieren. URBANISIERUNG wird dabei positiv verstanden, sie findet nicht nur in den großen Zentren statt, sondern auch in den Regionen. Urbanisierung wird verstanden als Weg aus der ländlichen Armut.
  • Der Staat ist ein REGULIERUNGS-STAAT. Er lenkt durch Regeln, die auf allen Ebenen des Staates gelten. Die Regeln sollen Transparenz schaffen und zugleich Freiheiten in der Umsetzung lassen. Die Einhaltung dieser Regeln, des vorgegebenen Spielraums, des Rahmens wird scharf kontrolliert und später evaluiert.
  • VERSORGUNG DER BEVÖLKERUNG MIT ÖFFENTLICHEN GÜTERN ist höchste Aufgabe des Staates.
  • OUTPUT-LEGITIMIERUNG: Im Westen sind die Regierungen durch den Input legitimiert, durch die Art und Weise, wie sie zustande gekommen sind: Durch Wahlen, durch den Wahl-Akt zu Beginn der Regierungszeit.  In China legitimiert sich die Regierung durch das, was in ihrer Regierungszeit heraus kommt, ob die Regierung es geschafft hat, die Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern sicher zu stellen. Öffentliche Güter sind z.B.:
  • Soziale Absicherung
  • Zugang zur Bildung für alle
  • Stabilität, Sicherheit und Ordnung
  • materielle Sicherheit und Stabilität
  • Ausgleich von Wachstum und Ökologie 
  • nationale Sicherheit
  •  Rechenschaftspflicht, ACCOUNTABILITY: Alle Ebenen von der Zentralregierung über die Regionen, Kreise und Ortschaften werden evaluiert. Sie müssen zu Beginn eines Jahres ihre Ziele formulieren, Selbstverpflichtungserklärungen schreiben,  und werden nach Ablauf des Jahres kontrolliert/ evaluiert, ob sie ihre Ziele und Verpflichtungen erreicht haben. - Wenn ja, werden sie belohnt, wenn nein, gibt es Sanktionen.
  • GUOQING: Das ist ein schwer zu übersetzender Begriff, der alles umfasst, was in China für spezifisch chinesich gehalten wird.
  • Mehr Spielraum für NGOs und Medien. Das Internet wird als Gefahr angesehen und beim Überschreiten gewisser Grenzen scharf sanktioniert; zugleich ist es aber auch eine Chance für die Regierung, auf Probleme im Staat, in den Regionen, in der Produktion rasch aufmerksam gemacht zu werden. Eine Art "Liquid Democracy"  innerhalb vorgegebener Grenzen.
  • Das Gleiche gilt für die große und zunehmende Anzahl von Protesten:  Überschreiten sie gewisse Grenzen, werden sie scharf sanktioniert. Stellen sie das System nicht in Frage und halten gewisse Regeln ein, gelten sie als verhandelbar und als Hinweise zur Verbesserung des Systems. - Im Westen würde man sagen: Solange die (hier "freiheitlich demokratische", dort "sozialistische") Grund-Ordnung nicht in Frage gestellt wird, sind Proteste erlaubt. Reformen ja - Revolution und Infragestellung der Grund-Ordnung, des Systems,  nein.
  • China sieht sich heute (anders als zu Zeiten Mao Zedongs) in der ersten  Phase des Aufbaus des Sozialismus. Dieser Aufbau des Sozialismus soll erst in 100 oder 100en von Jahren abgeschlossen sein. [Mao wollte den Sozialismus in wenigen Jahren abgeschlossen haben, um dann noch zu seinen Lebzeiten in das höhere Stadium des Kommunismus überzugehen. Um das zu erreichen, hat er wenig Mittel gescheut: Großer Sprung nach vorn, Kulturrevolution..., Maßnahmen, die heute als Desaster betrachtet werden.]
  •  MODERNISIERUNG DER KONTROLLE: Einerseits z.B. durch Firewalls auf hohem technischen Niveau im Internet ("Die große Mauer"), andererseits durch offene und aktive Teilnahme des Staates und der Partei in den gesellschaftlichen Diskussionen in den Internet-Foren.
  • PATRIOTISMUS UND PROPAGANDA: Die Partei sieht sich als Sachwalter chinesischer Interessen, s.o. Guoqing.
  • KOOPERATION UND HARMONIE STATT KONFLIKT: Es gibt nur eine Partei und nicht viele. Und Aufgabe der Partei ist es, in sich selber alle Strömungen zu repräsentieren und einen Ausgleich der Interessen zu finden. Ausgleich statt Parteiengezänk und Kampf der Parteien gegeneinander, und somit kann es auch keinen Wahl-Kampf geben.
  • NEUE DEMOKRATIE: Es gibt eine universelle Vorstellung von Demokratie auf der Welt, diese werde auch in China beachtet, jedoch unter Berücksichtigung der spezifischen chinesischen Traditionen, z.B. der Harmonie-Lehre des Konfuzius. So gibt es zwar keine Gewaltenteilung wie im Westen, aber ein eigenes System der Kontrolle, der Evaluierung, des Ausgleichs von Interessen, der Legitimierung durch Output und Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern, eine ständige Überprüfung der Maßnahmen auf ihren Erfolg hin: Die Beseitigung der Armut und der wachsende Wohlstand für immer mehr Menschen, der Output, beweist ob sich die Regierung auf dem richtigen Weg befindet: "Die Wahrheit in den Tatsachen suchen", 實事求是, Shí shì qiú shì (Deng Xiao Ping nach Karl Marx). "Die Praxis ist das einzige Kriterium zur Überprüfung der Wahrheit“,  实践是检验真理的唯一标准, Shíjiàn shì jiǎnyàn zhēnlǐ de wéiyī biāozhǔn, (Deng Xiao Ping 1978).
  • LEGITIMIERUNG DURCH INTERNATIONALE REPUTATION: Der internationale Erfolg und der internationale Einfluss ("ohne China geht nichts mehr") beweist, dass sich China auf dem richtigen Weg befindet.  


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