Dienstag, September 06, 2005

New Orleans: Falscher Feind und falsche Opfer

Viele Menschen sind empört über Präsident Bushs Verhalten nach dem Hurrikan Katrina, der New Orleans verwüstete: Warum ließ sich Bush so lange nicht blicken? Warum hat das neue Heimatschutzministerium versagt? Warum kann man schnell Kampftruppen in den Irak und Hilfstruppen zu den Tsunami-Opfern nach Indonesien schicken, aber nicht nach New Orleans....???


Eine mögliche Antwort:

Es war der falsche Feind. Wenn der Schaden, wie am 11. September in New York an den Twin Towers, von islamistischen Terroristen angerichtet wird, dann kann die US-Regierung die Krise als Chance sehen, die Gelegenheit nutzen, und mit großem Tamtam und großem materiellen und propagandistischen Aufwand den Feldzug gegen das Böse in Afghanistan, Irak und gegen andere sog. Schurkenstaaten starten, den man schon lange geplant hatte.
Wenn der Feind aber ein Wirbelsturm, die Natur ist...?


Eine weitere mögliche Antwort

Die falschen Opfer. Die Opfer haben eine Hautfarbe: Schwarz. Und sie sind arm. Betroffen ist nicht die weiße Mittelschicht, sondern die arme, schwarze Unterschicht. Der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson, früher Mitarbeiter von Martin Luther King, ist empört und stellt die Frage, ob es nicht eher Rassismus und Gleichgültigkeit gegenüber diesen Opfern war als Inkompetenz, Unfähigkeit und Ineffektivität. - Die Wohlhabenden der Stadt, die sich in erster Linie aus Weißen und Kreolen rekrutieren, lebten in höher gelegenen Teilen der Stadt, konnte sich sichere Ausweichquartiere leisten oder im eigenen Landrover die Stadt rechtzeitig verlassen...
Schon vor einem Jahr spielte sich Ähnliches ab: Vor dem Hurrikan Ivan wurde New Orleans präventiv evakuiert - aber die gesamte arme Bevölkerung, Alte, Menschen ohne Auto und viele Schwarze blieben in der Stadt zurück.


Eine weitergehende Antwort...

... gibt der Historiker und Soziologe Mike Davis in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 5.9.: New Orleans ist seit Jahren berüchtigt, so sagt er, weil dort versucht wird, die arme schwarze Bevölkerung aus der Stadt zu verteiben. Die Eliten der Stadt hätten das gemeinsame Ziel, New Orleans zu verbürgerlichen. Die Hütten der Armen und die Armen selber werden als Hindernis dabei gesehen, die Stadt in einen Themenpark zu verwandeln. Die Vernichtung der Hütten durch den Wirbelsturm und die anschließende Evakuierung der Bevölkerung biete den Eliten nun die einmalige Chance, ihre Vision auf dramatische Weise zu realisieren. "Es wurde bereits entschieden, diese Menschen nicht zu retten".
Die meisten der Opfer haben keine Versicherung und alles verloren. Davis geht davon aus, dass man die Armen, und das sind in erster Linie die Schwarzen, aus der Stadt haben bzw. nicht wieder in die Stadt zurücklassen will. "Deshalb blieben auch so viele zurück: Sie folgtem ihrem Instinkt und klammerten sich an die Stadt".
Nach seiner These wäre der Wirbelsturm ein Geschenk für die Eliten der Stadt gewesen, die dadurch ihre lang gehegten Pläne zur Neu-Strukturierung der Stadt endlich umsetzen können.
Man könnte hinzufügen: So wie die Katastrophe vom 11. September eine Chance für die Bush-Regierung war ... Carpe diem.

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