Freitag, September 23, 2005

Sprich nicht mit den Schmuddelkindern. (Bundestags-Wahl 2005)

Bundestagswahl 1998: Linke Mehrheit: Rot-grün hat gewonnen.
Bundestagswahl 2002: Linke Mehrheit: Rot grün hat gewonnen.
Bundestagswahl 2005: Linkere Mehrheit. Rot grün wurde zwar abgewählt, aber das "linkere" Lager rot-rot-grün hat unterm Strich 19 Sitze hinzugewonnen, während schwarz-gelb unterm Strich 9 Sitze verloren hat.

Zur Erläuterung
Rot-grün hat 29 (SPD) +4 (Grüne) =33 Sitze verloren, dafür hat aber Linkspartei/PDS 52 Sitze dazu gewonnen. Macht netto 19 Sitze mehr für die "linkeren" Fraktionen.
Die CDU hat 23 Sitze verloren, die FDP 14 dazu gewonnen, das macht ein Minus von 9 Sitzen für schwarz-gelb.
Rot-rot-grün hat 327 Sitze im Bundestag, schwarz-gelb 286. Eine stabile "linke" Mehrheit.


Kurz gesagt: Die WählerInnen sind nach links gerutscht.
Das war auch nicht wirklich anders zu erwarten, weil die SPD unter Schröder in NRW und anderswo und auch im Bund vor allen Dingen deshalb immer mehr WählerInnen verloren hat, weil sie eine zunehmend neoliberale Wirtschaftspolitik vertreten hat. - Bei den früheren Wahlen blieben die meisten sozialdemokratischen Stamm-WählerInnen einfach zuhause; jetzt sahen offenbar einige von ihnen in der Linkspartei eine Alternative: Trotz ausgesprochen hämischer Behandlung in großen Teilen der Presse kam die Linkspartei auch in einigen der alten Bundesländern wie Saarland, Rheinland-Pfalz, NRW deutlich über die 5%-Hürde.

Nichtsdestotrotz: Auch bei diesen Wahlen blieben wieder viele WählerInnen zuhause. Die Wahlbeteiligung war mit 77,7% die schlechteste bei Bundestagswahlen seit Jahrzehnten. (2002: 79,1%/ 1998: 82,2%/ 1990: 77,8%/ 1972: 91,1%...). - Eine soziologische Analyse der Wahlergebnisse zeigt, dass viele ehemaligeSPD-WählerInnen, besonders aus der Arbeiterschaft nicht zur Wahl gegangen sind und sich der Stimme enthielten.
Dasselbe Bild bei der CDU: Erhebliche Teile der früheren Unions-Anhänger aus der Arbeiterschicht und der unteren Hälfte der sozialen Pyramide behielten ihre Stimme für sich und gingen nicht in die Wahllokale.

Ich glaube, es war Martin Luther King, der in den 50er Jahren gesagt hat: Noch nie wurde eine Revolution gemacht, weil es den Leuten schlecht ging. Revolutionen werden dann gemacht, wenn die Leute Hoffnung haben und eine Perspektive sehen. - Was für Revolutionen gilt, gilt im übertragenen Sinne auch für Wahlen: In keiner Partei sehen die WählerInnen wohl eine wirkliche Perspektive, und immer mehr bleiben daheim oder nutzen den Sonnenschein am Wahltag lieber zum spätsommerlichen Spaziergang.


Spiel nicht mit den Schmuddelkindern

Was passiert nun bei den Koalitionsverhandlungen? Niemand spricht mit Linke/PDS, obwohl das die Partei mit dem größten Zuwachs ist und mehr Sitze bekommen hat als die Grünen (54 gegenüber 51). "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, sing nicht ihre Lieder" (textete Liedermacher Franz Josef Degenhardt, Jahrgang 1931, vor vielen, vielen Jahren).
Man mag von Lafontaine halten, was man will. Immerhin, so Kabarettist Deutschmann: Er predigt nicht Wasser und trinkt Wein, sondern er trinkt Wein und predigt Rotwein dür alle. Zwar ist er oft populistisch, dazu ein Salonsozialist und führte als Ministerpräsident des Saarlandes ein fürstliches Leben mit guter Küche und Spitzenkoch, - Aber immerhin ist er nicht irgendein Dahergelaufener, sondern war einmal Kanzlerkanditat der SPD, Finanzminister unter Kanzler Schröder und Ministerpräsident eines Bundeslandes...
Und sein Kompagnon Gysi kann wohl den meisten anderen Politikern in Bundestag und Regierung gut das Wasser reichen.
Warum wird nicht wenigstens mit ihnen gesprochen? Unabhängig davon, ob ihre Konzepte nun wirklich machbar und das Gelbe vom Ei sind?
Die Wählerschaft rückte etwas weiter nach "links" (sofern sie sich nicht der Stimme enthielt) - die neue Regierungs-Koalition wird ziemlich sicher weiter nach "rechts" rutschen.

Ich glaube nicht, dass diese Art der Koalitionsverhandlungen - was immer dabei auch herauskommen wird - dazu beitragen kann, das Vertrauen der BundesbürgerInnen in die Parteiendemokratie zu stärken.
Oder?

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