Freitag, Februar 24, 2012

Herr Yozgat und Herr Wulff



I. Lehrer Epping
 
In dem Roman "Der Anschlag" von Stephen King korrigiert der Lehrer Epping Aufsätze von Erwachsenen, die den High-School-Abschluss nachmachen wollen. Obwohl seine Schüler zu den bildungsfähig Minderbegabten gehören, die "Abend" wie "Ahmd" schreiben und "gestorben" wie "gestorm", lässt er niemanden durchfallen, weil er nie einen erwachsenen Schüler oder eine Schülerin gehabt hatte, die sich nicht "den Arsch aufgerissen hätten". -
 
 Eines Abends korrigiert Lehrer Epping den Aufsatz des Hausmeisters seiner eigenen Schule, der auch nicht richtig schreiben kann, aber dieses Mal unterstrich und korrigierte Lehrer Epping kein einziges Wort, sondern legte statt dessen seinen Rotstift beiseite: Er las den Text des Hausmeisters Harry bis zum Ende, wischte sich die Augen, damit keine Tränen auf die Seiten fielen. Und zum Schluss malte er ein großes rotes A auf das Blatt, betrachtete es einen Augenblick und setzte dann ein großes rotes + daneben. A+, weil der Aufsatz gut war. "Und ist es nicht dass, was ein mit A plus benoteter Aufsatz tun sollte? Eine Reaktion hervorrufen?"
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II. Herr Ismail Yozgat

Bei der zentralen Gedenkfeier für die Opfer der Neonazi Terrorzelle NSU am 23.2.2012 in Berlin hielt Herr Ismail Yozgat eine kurze Ansprache. Er ist der Vater von Halit Yozgat, der am 6.4.2006 in seinem Internetcafé in Kassel mit zwei Kopfschüssen getötet worden war. Abends besuchte der 21-jährige Deutsche türkischer Abstammung einen Kurs, um sein Abitur nachzumachen:

"Meine Damen und Herren, Exzellenzen, ich möchte Sie alle herzlich begrüßen, vor allen Dingen unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich bin der Herr Ismail Yozgat. Mein Sohn starb in meinen Armen am 6. 4. 2006 in dem Internetcafé, wo er erschossen wurde.

 
Ich möchte mich von ganzem Herzen bedanken bei Herrn Altbundespräsident Christian Wulff. Wir sind seine Gäste. Wir bewundern ihn, und ich möchte mich bei allen bedanken, die diese Gedenkveranstaltung für uns gemeinsam ausrichten. Und ich möchte mich herzlich bedanken bei meiner Heimatstadt Baunatal.

Ich habe Anschreiben bekommen von der Ombudsfrau Frau Barbara John. Ich möchte mich herzlich bei ihr bedanken. Unter anderem ist uns materielle Entschädigung angeboten worden. Ich möchte mich herzlich dafür bedanken, möchte aber sagen, dass wir das nicht annehmen möchten. Meine Familie möchte seelischen Beistand, keine materielle Entschädigung. 

Wir haben anstelle dessen drei Wünsche: 
  1. Unser erster Wunsch ist, dass die Mörder gefasst werden, dass die Helfershelfer und die Hintermänner aufgedeckt werden. Das ist unser größter Wunsch und unser Glaube. Und unser Vertrauen in die deutsche Justiz ist groß. 
  2. Unser zweite Wunsch ist, dass die Holländische Straße - unser Sohn Halit Yozgat ist in der Holländischen Straße 82 geboren worden, und er ist dort in dem Ladengeschäft umgebracht worden -, dass diese Straße nach ihm benannt wird: Halit-Straße.
  3. Unser dritter Wunsch ist, dass im Namen der zehn Toten, im Angedenken an sie ein Preis ausgelobt wird. Wir möchten gerne, unsere Familie, eine Stiftung gründen und sämtliche Einnahmen spenden für Menschen, die krebskrank sind. Ich möchte mich herzlich bedanken für die Gedenkveranstaltung und möchte Sie herzlich und mit höchster Anerkennung grüßen."
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III. Die französische Universitätsprofessorin

Neulich hörte ich ein Gespräch, in dem die französische Universitätsprofessorin scherzte und sagte, dass man in Frankreich nur darüber lachen könne, wenn in Deutschland wegen solcher Lappalien ein Bundes-Präsident zurücktreten müsse - wie kleinkariert in Deutschland in diesem Punkt im Vergleich zu Italien und Frankreich doch gedacht würde. Der einzig wirkliche Grund für einen Rücktritt von Christian Wulff sei es vielleicht, dass er so kleinkariert sei und sich mit so kleinen Schummeleien zufrieden gegeben habe: Das zeige seinen Mangel an präsidialer Größe.

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Großartig waren die Worte von Ismail Yozgat 

u.a., weil: 
  • er die Größe hat, dem gerade zurück getretenen Bundespräsidenten Wulff für seine Rede am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 seine Bewunderung auszudrücken -  statt nachzutreten oder diese Rede einfach zu übergehen. 
  • Weil er trotz des beschämenden Versagens der deutschen Polizei der deutschen Justiz sein Vertrauen aussprechen konnte.
 - "Ein großes rotes A plus".

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Rede zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit Bremen, 3. Oktober 2010. Christian Wulff:

... Wenn mir deutsche Musliminnen und Muslime schreiben: “Sie sind unser Präsident” – dann antworte ich aus vollem Herzen: Ja, natürlich bin ich Ihr Präsident! Und zwar mit der Leidenschaft und Überzeugung, mit der ich der Präsident aller Menschen bin, die hier in Deutschland leben.
...
Wir sind Deutschland. Ja: Wir sind ein Volk. Und weil diese Menschen mit ausländischen Wurzeln mir wichtig sind, will ich nicht, dass sie verletzt werden in durchaus notwendigen Debatten. 
Legendenbildungen, Zementierung von Vorurteilen und Ausgrenzungen dürfen wir nicht zulassen. Das ist in unserem ureigenen nationalen Interesse.

Die Zukunft gehört den Nationen, die offen sind für kulturelle Vielfalt, für neue Ideen und für die Auseinandersetzung mit Fremden und Fremdem. Deutschland muss mit seinen Verbindungen in alle Welt offen sein gegenüber denen, die aus allen Teilen der Welt zu uns kommen. Deutschland braucht sie!
... 


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