Donnerstag, Februar 16, 2012

Frühstück mit Chinesen. Über konformistische Redakteure und Gehirnwäsche.




Neulich traf ich in einer Bar beim Frühstück einen jungen (Rot-) Chinesen. Während ich Kaffee trank und es mir mit meiner liberalen non-mainstream-Tageszeitung gemütlich machte, saß er vor seinem Mac-Book und studierte die Foren und Blogs im Internet. - Wir kamen ins Gespräch, und er äußerte sein Un-Verständnis darüber, wie jemand jeden Morgen die gleiche Tageszeitung lesen könne - und das auch noch in der Papier-Version: Man begebe sich freiwillig und ohne Not in die Hände eines einzigen Mediums; das sei doch wie eine selbst verordnete Gehirnwäsche. "Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden", und allmorgendlicher Tropfen höhle schließlich den Stein - bzw. das westliche Gehirn.

Meine Argument ließ er nicht gelten:

Das sei vielleicht in China so, aber in Deutschland ganz ausgeschlossen, denn ich hätte ja gerade aus diesem Grunde eben diese kritische liberale non-konformistische prima Tageszeitung ausgewählt - und keine andere -, weil ich mich so vor der Gehirnwäsche durch die Mainstream-Medien schützen könne .

Auch mein zweites Argument zog nicht:

Dass ich ja selber Miteigentümer dieser Zeitschrift sei, weil sie genossenschaftlich organisiert sei, und ich mich ja dann sozusagen selber manipulieren würde. -


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Die fünfte Freiheit
Als ich später in einer ruhigen Minute über das Gespräch noch einmal nachdachte, fiel mir das Buch von Noam Chomsky wieder ein, dass ich vor Jahren begeistert gelesen hatte: Die Fünfte Freiheit. Über Macht und Ideologie. Vorlesungen in Managua.


"Noam Chomsky hat seit den sechziger Jahren unsere Vorstellungen über Sprache und Denken revolutioniert. Zugleich ist er einer der schärfsten Kritiker der gegenwärtigen Weltordnung. Der1928 geborene Chomsky ist als »der einflussreichste westliche Intellektuelle« und als »der bekannteste Dissident der Welt« bezeichnet worden" - (las ich gestern bei Amazon).

Dieses Buch ist 1988 in deutscher Sprache erschienen, 1987 in englischer. Es enthält Vorlesungen, die Chomsky 1986 in Managua/Nicaragua gehalten hat.


Mit der "Fünften Freiheit" meint Chomsky die "Freiheit zu Raub und Ausbeutung als vordringliches Bestreben US-amerikanischer Außenpolitik". -

In der letzten der insgesamt fünf Vorlesungen bezeichnet er die USA als "vermutlich freier und offener als jede andere Gesellschaft der Welt". Er vergleicht sie mit der damals noch existierenden Sowjet-Union und schreibt: "In dieser Hinsicht sind die USA im weltweiten Spektrum an dem Ende, das der anderen Supermacht UdSSR auf das Schärfste entgegengesetzt ist. In der Sowjetunion existiert eine geschlossene Gesellschaft, in der der Staat vor jeglicher Kontrolle geschützt ist und hinreichende Mittel besitzt, um die Bevölkerung unter Druck zu setzen."

Chomsky hat die Berichterstattung der Presse in den USA über Jahre hinweg untersucht und kam zu dem immer gleichen Ergebnis:

"Die Verbrechen der Vereinigten Staaten und ihrer Satelliten werden verschwiegen oder erklärend entschuldigt, die Verbrechen der offiziellen Feinde dagegen mit Abscheu kommentiert. ... Eigentlich erwartet man eine solche Haltung von der amtlichen Presse in totalitär regierten Ländern."

Chomsky war erschrocken über diese Selbstzensur der Presse in den USA, wo doch eigentlich "das Recht auf freie Meinungsäußerung in hohem Maße dergestalt verteidigt wird, dass es verglichen mit anderen Ländern kaum staatliche Kontrollen gibt. ... Die Gründe für die regelrechte Ehrerbietung, welche die Medien der Macht entgegenbringen, sind nicht schwer auszumachen", schreibt er, und erläutert in der Vorlesung ausführlich die Gründe für dieses konformistische Verhalten der Journalisten in einer der freiesten Gesellschaften der Welt. (Lesen Sie es nach - es ist spannend und aufschlussreich).


Kann man die Meinungs-Freiheit in Deutschland nicht mit der in den USA vergleichen? Haben wir nicht eine der freisten Gesellschaften der Welt und wird bei uns nicht die Pressefreiheit - im Unterschied zur heutigen VR China - hoch geachtet? -

Und sollte mein chinesischer Bekannter vielleicht trotzdem Recht haben? ist es auch bei uns heute so, wie es Chomsky vor 30 Jahren in den USA nach-wies: "Die Verbrechen des Westens werden in unseren Medien verschwiegen oder erklärend entschuldigt, die Verbrechen der offiziellen Feinde dagegen mit Abscheu kommentiert" ? Und macht "meine" kritische non-konformistische Tageszeitung das vielleicht auch, und ich merke es schon gar nicht mehr? Und vielleicht merken ihre Redakteure es selber gar nicht?

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Ich recherchiere im Internet. Ich lese einen Text von John Pilger:

John Pilger, Jahrgang 1939, ist ein australischer Journalist und Dokumentarfilmer. Er war Leiter der Auslandsredaktion des „Daily Mirror“. Pilger drehte mehr als 50 Filme und hat in seiner Karriere für viele bekannte englischsprachige Zeitungen geschrieben (z. B. „The Independent“, „The Guardian“ und „The New York Times“).
Mit zahllosen Journalismus-Preisen ausgezeichnet, gilt Pilger als einer der besten lebenden englischsprachigen Journalisten. 2003 erhielt er den Sophie-Preis für seinen besonderen Einsatz für die Menschenrechte. Er engagiert sich in der Bewegung "Democracy now!" und steht auch der Politik Obamas kritisch gegenüber, die seiner Meinung nach das Ziel bisheriger Regierungen der USA einer internationalen Vorherrschaft weiter verfolgt. Er wurde im Jahre 2009 mit dem Sydney-Friedenspreis ausgezeichnet. (wikipedia)

  "Die Revolution der Nachrichten hat begonnen:
(New Statesman aus dem Jahre 2005) - Die indische Schriftstellerin Vandana Shiva hat zu einem Aufstand gegen „versklavtes Wissen“ aufgerufen. Der Aufstand hat schon begonnen. Millionen von Menschen haben sich in ihrem Bemühen, die gefährliche Welt, in der wir leben, zu verstehen, von den herkömmlichen Nachrichten- und Informationsquellen ab- und dem Internet zugewandt in der Überzeugung, dass der vorherrschende Journalismus die Stimme der zügellosen Macht ist. Der große Irak-Skandal hat dies beschleunigt. In den USA haben mehrere etablierte Radiojournalisten zugegeben, dass die Invasion vielleicht nicht stattgefunden hätte, wenn sie die Lügen, die über die Massenvernichtungswaffen im Irak verbreitet wurden, beim Namen genannt und enttarnt hätten, anstatt sie zu verstärken und zu rechtfertigen.

Eine solche Ehrlichkeit ist diesseits des Atlantiks noch nicht zu finden."
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Und dann schlage ich "meine" kritische Tageszeitung auf und lese einen Artikel von Georg Seeßlen: Kuba muss die Pressefreiheit zweifellos noch lernen. Aber bitte nicht von uns.

Auszüge:
"In Kuba gibt es wenige Zeitungen, und ein Zeitungskiosk in Havanna macht für unsere Augen einen trostlosen Eindruck. ... Der Aufmacher von Granma heute: die Notwendigkeit, den Preis für schwarze Bohnen um einige Cent pro Kilo zu erhöhen. - Man würde einer Gesellschaft, die sich in einem Übergang befindet, aber mehrheitlich nicht bereit ist, sich einfach fressen zu lassen von Kapital und Entertainment, mehr Diskurskultur, mehr Pressefreiheit wünschen.

Niedertracht und Bordlektüre

Ja, das würde man. Jedenfalls so lange, bis man wieder in den heimischen Gefilden gelandet ist: Schon bei der Lektüre der ersten Zeitung an Bord des Flugzeugs wird einem klar, was ein gut recherchierter Artikel über die Preiserhöhung von schwarzen Bohnen wert ist. Wenn man nämlich die (für unsereinen zugegebenermaßen etwas mühsame) Lektüre vollzogen hat, weiß man etwas über den Zusammenhang von Wetter, Düngemittel, Versorgungsauftrag und Weltmarkt. Und natürlich weiß man, was die Erhöhung des Preises für schwarze Bohnen für das Leben einer kubanischen Familie bedeutet. Was aber weiß ich nach der Lektüre einer deutschen Zeitung, jedenfalls der Art, wie sie in Flugzeugen verteilt werden? ...
Unsere "Presselandschaft" wäre außerstande, einen realistischen und detaillierten Artikel über die Erzeugung des Preises von schwarzen Bohnen (oder Kartoffeln) hervorzubringen. Und das aus gleich drei Gründen: Ein solcher Artikel "verkauft" sich nicht. Ein solcher Artikel benötigt eine journalistische Arbeit, die im Lohndrückerkapitalismus unbezahlbar ist. Und: Wer wirklich dahinter käme, wie der Preis von schwarzen Bohnen (oder Kartoffeln) auf dem Markt zustande kommt, der würde unbequem, der lebte gefährlich. ...
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  • Darf ich nun, wenn solche nonkonformistischen Artikel in meiner nicht-mainstream-Papier-Zeitung gedruckt werden, sie täglich weiter lesen?
  • Oder muss ich doch vorsichtshalber beim Morgenkaffee zur Foren- und Blog-Lektüre auf Tablet-PC und Internet umsteigen?
  • Oder gilt für meine Tageszeitung vielleicht eine Ausnahme, und ich werde bei ihrer Lektüre doch nicht gebrainwashed?
Ich werde mal nachfragen.


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