Nach geplatzter Immobilienblase, Wirtschaftskrise und anschließenden Sparmaßnahmen des Staates sind in Spanien 5,3 Millionen Menschen arbeitslos, gut 1/3 von ihnen bekommt keine Unterstützung vom Staat mehr. Die Arbeitslosenquote beträgt 23%, in 1,5 Millionen spanischen Haushalten gibt es niemand mehr, der einen Arbeitsplatz hat.
In Japan arbeitet inzwischen 1/3 aller ArbeitnehmerInnen in nicht-regulären Arbeitsverhältnissen. Traditionell kümmert sich in Japan nicht der Staat um die Menschen, sondern lebenslang die Firma, in der man fest angestellt ist. - Solange man fest angestellt ist:
"Die Firma kümmert sich in Japan um fast alles. Um Deine Sicherheit. Um Deine Wohnung. Deine Rente. Deine Gewerkschaft. Dein soziales Leben. Deine Hochzeitsfeier. Deine Beerdigung. Das ist der Deal. Dafür tust Du – ohne viel zu fragen – was verlangt wird. Du passt Dich ein."
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Freeter nennt man in Japan die Menschen, die dieses Privileg mit seinen Vor- und Nachteilen nicht mehr genießen können oder wollen. "Freie Arbeiter". Wie sie leben, davon berichtet ein spannendes Feature im swr2 im Januar 2012. Sie können es im Internet nachhören und nachlesen:
SWR2 FEATURE AM SONNTAG:
FREETER. TOKIOS DIGITALE TAGELÖHNER. SENDUNG 15.01.2012.
Auszüge daraus:
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Jeden Tag fährt Du wie alle anderen mit den überfüllten „white-collar“-trains, den Vorortzügen, nach Tokyo zur Arbeit hin und zurück. Er hat einen Job, der ihn absolut nicht interessiert. Er ist noch nicht mal dreißig und hat keine Träume mehr. Denn er hat es jetzt geschafft: Er hat eine Festanstellung. Er arbeitet als Manager in einem Call-Center der staatlichen Eisenbahn. Er bist jetzt ein Sarari-man, ein Angestellter, trägt schwarzen Anzug, weißes Hemd.
"Ich stehe um sechs Uhr morgens auf – mache mir Frühstück – und bin um sieben in der Bahn, weil ich gut anderthalb Stunden Fahrzeit brauche, bis ich im Büro bin. Um neun fange ich an zu arbeiten, ich arbeite lange und fahre abends den ganzen Weg wieder zurück, nach Hause. Dann esse ich zu Abend, bade und gehe so gegen zehn Uhr schlafen. Am nächsten Tag geht es wieder von vorne los."
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Bis Mitte der 80er Jahre war die Festanstellung noch der Normalzustand, die typische Mittelstandsgesellschaft, für die Japan so berühmt war, die lebenslange Festanstellung, die vielen Überstunden, die üppigen Bonuszahlungen. Die Firmen offerierten gar keine andere Möglichkeit, als eine unbefristete Festanstellung. Und damit auch das Hamsterrad. Das war normal.
Bis Mitte der 1980er Jahre, als es begann mit der Personalfirma Recruit, die mit Stellenanzeigen um die neuen „Arubaito“-Arbeitskräfte warb. Und die Leute, die sich dann auf diese Jobs bewarben, dachten, dass das eigentlich eine ganz gute Art und Weise ist, sein Geld zu verdienen: ohne Festanstellung, befristet, frei, unabhängig und nach eigenem Interesse.
Das Wort „arubaito“ stammt vom deutschen Wort „Arbeit“ ab. Es handelt sich bei „arubaito“ um Arbeitsverhältnisse aller Art jenseits der Festanstellung. Mittlerweile arbeitet über ein Drittel der japanischen Beschäftigten in nichtregulären Arbeitsverhältnissen.
Durch die Entlassungen und den Einstellungsstopp in den 1990er Jahren, die nie wieder aufgeholt wurden, war hunderttausenden junger Menschen der Zugang zur japanischen Wirtschaft verwehrt. Zwei Absolventen-Generationen konnten keine Anstellung finden. Und wenn sie älter als 34 Jahre sind, fallen sie einfach aus der Statistik raus. Das ändert aber nichts daran, dass sie mit 35 immer noch Freeter sind. Was in Deutschland „Generation Praktikum“ genannt wird, heißt hier: Rosujene – lost generation oder: makeinu – Verliererhunde.
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Früher hat er dort im Call-Center auch schon gearbeitet. Aber befristet, als Freeter. Das Wort „Freeter“ setzt sich aus dem englischen „free“ - frei - und der letzten Silbe des deutschen Wortes „Arbeiter“ zusammen. Freeter sind all jene, die nicht festangestellt arbeiten. Egal, ob sie eine einfache oder anspruchsvollere Arbeit verrichten. Das Unterscheidungsmerkmal ist lediglich, dass die Freeter nicht festangestellt sind.
„In Japan hat sich die Firma schon immer sehr stark um ihre Leute gekümmert und auf die soziale Versorgung „aufgepasst“ – die Sozialleistungen, Renten- und Krankenkassenbeiträge, der Festangestellten wurden übernommen, selbst Wohnungsprobleme wurden durch die Firma gelöst – sie hat sich quasi um alles gekümmert. Als Freeter kommst du einfach nicht in diesen Genuss. Um dich als Freeter kümmert sich die Firma nicht. Und außerhalb der Firma gibt es in Japan nichts und niemanden, der sich um das Wohlergehen der Menschen wirklich sorgt. Also ist das kulturell sehr stark in Japan verwurzelt, dass man nur in und mit einer Firma zusammen wirklich gut leben kann.“
Die Firma kümmert sich in Japan um fast alles. Um Deine Sicherheit. Um Deine Wohnung. Deine Rente. Deine Gewerkschaft. Dein soziales Leben. Deine Hochzeitsfeier. Deine Beerdigung. Das ist der Deal. Dafür tust Du – ohne viel zu fragen – was verlangt wird. Du passt Dich ein.
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Wer von den Freeters abends nicht nach Hause kann (weil er zu weit weg wohnt, weil er seiner Familie nicht sagen kann, dass er keine feste Arbeit hat), der übernachtet vielleicht in einem Internetcafé: Dort mietet man stundenweise eine Kabine, das kostet für eine ganze Nacht maximal 20 Euro. Die Kabine ist sauber, man kann die Tür hinter sich zuziehen, man kann sich auf dem Boden ausstrecken, es gibt einen kleinen Safe für die Wertsachen, Pantoffel, Kissen und Decken bekommt man bei Bedarf am Eingang, es gibt gratis Getränke aus Automaten, und es gibt Duschen im Internetcafé. Man kann lesen, über Kopfhörer Musik hören, im Internet surfen und nach Stellen im Internet suchen: Als Freeter oder als fest Angestellter. Freeter sind keineswegs nur Hilfsarbeiter, es gibt auch viele junge Leute, die gut ausgebildet sind, die oft sogar einen Universitätsabschluss haben. Doch weil den viele haben, bedeutet er auch nicht so viel. Am meisten Chancen haben noch die Neugraduierten auf eine Arbeitsstelle. Doch schon kurz nach dem Universitätsabschluss wird es schwer. Es gibt ja sehr viele Freeter, die einen Universitätsabschluss haben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Todai-Absolventen Freeter werden. Die Todai, die Tokyo Daigaku, ist die beste Universität Japans. Die Bildungsmöglichkeiten in Japan können jedenfalls nicht garantieren, dass die Jugendlichen einen Arbeitsplatz bekommen.
Die modernen Tagelöhner werden über das Internet vermittelt. Und während die älteren Männer mit ihren blauen Plastikplanen-Zelten aus den Innenstädten verdrängt werden, rücken die neuen jungen und gut ausgebildeten Obdachlosen in die Vergnügungszentren der Großstädte vor, denn dort liegen die Internetcafés. Sie sind die Speerspitze der Flexibilität. Sie sind schneller bei der Arbeit, können früher kommen und später gehen, ohne dass sie deswegen weniger freie Zeit haben. Sie können leben wie ein Student, mit viel Zeit für die Dinge, die sie mögen und trotzdem sind sie nicht arm. Wenigstens nicht auf den ersten Blick.
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Das größte Problem haben die Männer! Die Männer können nicht heiraten, wenn sie zu lange als Freeter arbeiten. Das ist das Problem! - Was früher noch romantisches Ideal war – selbstbestimmt zu arbeiten, frei über seine Zeit verfügen zu können – entwickelt sich zum Albtraum und zu einem Vehikel für Lohndrückerei. Pech für die Freeter. Denn niemand kümmert sich um sie. Auch nicht der Staat. Brauchte er auch nicht. Bislang.
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