Samstag, August 31, 2013

Von Helden, Whistleblowern und Wissenschaflern


Post-heroische Helden.

Eigentlich sprach man vom post-heroischen Zeitalter.
Ein gut ausgestatteter neuer Sonderforschungsbereich der Universität Freiburg befasst sich nun (trotzdem oder deswegen) mit diesem "Relikt des mythischen Weltbildes". - Was aber macht sie aus, die "Heroische Figur"?

Am engsten fasste es auf einem Podium in Freiburg Martin Warnke, * 1937, "der Doyen der sozialgeschichtlichen Kunstwissenschaft". Am liebsten würde er allein die Definition der alten Griechen gelten lassen, die den Titel ihren gefallenen Kriegern vorbehielten. Angesichts der modernen Kriegsführung sei der Kriegsheld allerdings obsolet. Die Möglichkeit atomarer und chemischer Kriegsführung und der Kriegsführung aus der Ferne mit Dronen habe den Heldenbegriff endgültig liquidiert. Allein dies erkläre seine Veralltäglichung, die Übertragung auf Ärzte, Wissenschaftler, Feuerwehrleute.

Die links-bürgerliche taz sucht alljährlich Helden des Alltags

Aus der Weltliteratur - so die Literaturwissenschaftlerin Prof. Susanne Lüdemann von der Uni München, habe sich der Held schließlich schon früh – mit Don Quijote und Hamlet – verabschiedet, und nach Ansicht des Philosophen Hegel wurde er in der bürgerlich geordneten Gesellschaft gänzlich obsolet: ersetzt vom Beamten.

Als Relikt eines mythischen Weltbilds beweist das "narrative Konstrukt" dann aber doch erstaunliche Überlebenskraft: Blockbusterfilme und Computerspiele, das weiß Susanne Lüdemann von ihren Kindern, kommen ohne eindeutige Heldenfiguren nicht aus. Transportieren sie doch naive Allmachtsphantasien und die Sehnsucht nach Eindeutigkeit.
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Der Held kehrt nicht nur einmal zurück auf die Leinwand,
Sony hat erst vor kurzem verkündet, dass es insgesamt drei Fortsetzungen zu "The Amazing Spider-Man" geben soll, der in Deutschland unter dem Titel "Spider-Man: Die Rückkehr des Helden" veröffentlicht  wird.

Brettspiel: "Packende Abenteuer
in einer phantastischen Welt!
Es gilt aufregende Abenteuer zu erleben, gegen Riesen,
Trolle oder andere finstere Wesen zu kämpfen
und am Ende den grausamen Namenlosen
in seinem Turm zu besiegen!"
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Snowden und Manning
Focus 25.2.2002
"Snowden und Manning sind ­in einem vollkommen neutralen Sinn — Helden.
Politikwissen­schaftler Herfried Münkler defi­nierte den Helden als einen „Kämpfertyp, der durch gestei­gerte Opferbereitschaft ein er­höhtes Maß gesellschaftlicher Ehrerbietung zu erwerben trach­tet: Diese Diagnose trifft auf Manning und Snowden zu.
Interessanterweise stammt Münklers Definition des Helden aus einem sieben Jahre alten Text, der gerade das Verschwin­den des Heroischen in den west­lichen Gesellschaften konsta­tiert. Münklers These vom „postheroischen Zeitalter" ist bis heute extrem einflussreich. [...]
Umso überraschender ist die neuerliche Renaissance des He­roischen im Herzen des Posthe­roischen, inmitten der digitalen Gesellschaft. Ein Grund für diese unerwartete Wendung ist, dass es noch nie so einfach war, ein Held zu sein. Computer haben den Einzelnen zwar womöglich tat­sächlich mehr auf sich selbst fo­kussiert, ihm aber auch deutlich mehr Handlungsmacht gege­ben. Daniel Ellsberg, der 1971 ge­heime Pentagon-Papiere über den Vietnamkrieg an die Öffent­lichkeit brachte, musste noch al­les nächtelang per Hand kopie­ren: Ein Prozess, der für den Whistleblower äußerst riskant war und mehrere Monate in An­spruch nahm. Manning reichten ein paar CDs, die in wenigen Stunden kopiert waren."
[Quelle: Johannes Thumfart in der taz]
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Whistleblower-Preis 2013 
des VDW für Edward Snowden:

Seit ihrer Gründung 1959 durch Carl Friedrich von Weizsäcker und weitere pro­mi­nen­te Atomwissen­schaft­ler, die sich zuvor als "Göt­tin­ger 18" öffent­lich ge­gen eine ato­ma­re Be­waff­nung der Bun­des­wehr aus­ge­spro­chen hatten, fühlt sich die Ver­ei­ni­gung Deutscher Wissen­schaft­ler (VDW) der Tra­di­tion ver­ant­wort­licher Wis­sen­schaft ver­pflich­tet. -

Der Whistleblower-Preis wurde von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), der deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA) und der Ethikschutz-Inititative des International Network for Engineers and Scientists for Social Responsibility (INESPE) gestiftet und erstmals im Jahre 1999 vergeben.

Mit dem Preis sollen Persönlichkeiten geehrt werden, die in ihrem Arbeitsumfeld oder Wirkungskreis schwerwiegende, mit erheblichen Gefahren für Mensch und Gesellschaft, Umwelt oder Frieden verbundene Missstände aufgedeckt haben ("Whistleblower"). Die Begündung kann man hier nachlesen.
Quelle: wikipedia


Im Jahre 2011 war übrigens Bradley "Chelsea" Manning einer der beiden Preisträger (und 2003 Daniel Ellsberg).

Im April 2010 machte Anonymous (Bradley Manning) ein von den US-Behörden als Staatsgeheimnis gehütetes Dokumentations-Video über ein von US-Soldaten im Irak verübtes schweres Kriegsverbrechen via Wikileaks der Weltöffentlichkeit zugänglich. Das dienstlich aufgenommene Bord-Video zeigt die gezielte Tötung von mindestens sieben Zivilpersonen durch
die Besatzung eines US-Kampfhubschraubers am 12. 7. 2007 im Irak. 



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Demokratie aktualisieren

Die Wissenschaftler des VDW haben aktuell eine "Berliner Erklärung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu den Bedingungen der Demokratie in der DIGITAL-WELT" veröffentlicht.
Darin heißt es u.a.:

[...] "Als Expertinnen und Experten für die wissenschaftliche Analyse der sozialen und natürlichen
Lebensbedingungen unserer modernen Gesellschaft wissen wir, dass die rechtlich verfasste soziale
Demokratie ein zerbrechliches Gebilde ist. Sie muss täglich verteidigt und immer wieder neu erkämpft werden. Wenn die Menschen - und Bürgerrechte unter den Händen der Geheimdienste zerrieben werden, sind Freiheit und Verantwortung als die Grundlagen unseres Zusammenlebens in Gefahr. Die Demokratie wird nicht nur von außen bedroht, sie stellt sich auf diesem Wege selbst in Frage.


Wir stellen fest
  1. Deutschland braucht schnell einen „großen Diskurs“ unter gleichberechtigter Beteiligung der Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft, um über die aktuelle Situation aus den Perspektiven unterschiedlichster Expertise zu beraten.
  2. Nach der Bundestagswahl muss umgehend eine neue, mit Parlamentarierinnen, Parlamentariern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern paritätisch besetzte Enquete-Kommission zum „Schutz der Privatsphäre und der bürgerlichen Freiheiten“ eingerichtet werden.
  3. Deutschland muss sich für europäische und für globale Regelungen einsetzen, die sich den aktuellen Herausforderungen politischer, technischer und ökonomischer Entwicklungen der Digital-Welt stellen und die darauf zielen, demokratische Strukturen zu verteidigen und zu erneuern. Dazu gehört auch, unabhängiger von monopolistischen, zumeist US-amerikanisch dominierten Datenverarbeitungsstrukturen zu werden. Hierfür könnte ebenfalls eine Enquete-Kommission des Europäischen Parlaments den geeigneten Rahmen für den notwendigen öffentlichen Diskurs und die Entwicklung von tragfähigen Konzepten schaffen." [...] 
Die ganze Erklärung kann man hier lesen und herunterladen.
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Freitag, August 30, 2013

Responsibility to protect? Vom Gas, Augustinus und vom "Gerechten Krieg"

Orthodoxer Priester segnet Soldaten. -  In Kampfstiefeln.
Es wird leider immer ver-rückter in Syrien
Noch immer ist (zum Zeitpunkt dieses Posts) nicht bewiesen, woher die chemischen Stoffe stammen, die die vielen Toten am 21.8.13 verursacht haben, und schon planen die amerikamische und die britische Regierung eine militärische "Strafaktion" gegen die syrische Regierung - ein Gewalt-Akt,
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    Übigens: Schaut ein Syrer (oder eine Syrerin) zuhause ins TV, dann sieht die Welt natürlich anders aus als aus unserer "westlichen" TV-Sicht:
    Während (laut Washington Post) die USA noch daran arbeiten, wie man die geplante Strafaktion, doch noch irgendwie mit dem Völkerrecht in Einklang bringen kann und Beweise dafür zu finden (oder zu erfinden?), dass allein die syrische Regierung Schuld an dem (bisher) vermutlichen Kampfstoff-Einsatz ist, war das syrische TV schneller und zeigt schon jetzt in einen Film, wie Einheiten der regulären syrischen Armee einen Unterschlupf der "Terroristen" (= Rebellen) im Viertel Dschobar in Damaskus stürmten. Angeblich wurden dort Materialien sichergestellt, die belegen, dass "Terroristen" (also die Rebellen) für die Chemiewaffenangriffe im Westen und im Osten des Bezirks al-Ghuta am 21. August verantwortlich sind.- Was/wem glaubt "die Syrerin"?
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    Sicher ist: 
    Der Trend der "internationalen Gemeinschaft" geht nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges wieder zum Gewalt-Einsatz.

    Die UN-Charta von 1945, die alle UN-Mitglieder bindet,  verbietet in Artikel 2(7) jeden Einsatz von Gewalt gegen andere Staaten mit der Ausnahme, dass ein Staat, der von einem anderen angegriffen wird, sich - ohne erst den UN-Sicherheitsrat zu fragen -  mit Gewalt verteidigen darf und andere Staaten dabei um Hilfe bitten darf. Dieses absolute Interventions-Verbot ist rechtlich verpflichtend und gilt bis heute.

    Aufgeweicht (aber nicht rechtlich aufgehoben) 
    wurde das Interventions-Verbot im Jahr 2005 durch einen einstimmigen(!) Beschluss der UN-General-Versammlung(!), der in seinen Paragraphen 138 und 139 von der "Schutz-vernatwortung" spricht, der "Responsibility to protect". Dieser Beschluss ist - im Unterschied zum o.g. Arikel 2(7) der UN-Charta kein zwingende Völker-Recht, sondern nur eine wegweisende Norm, die de facto das Völker-Recht aufweicht bzw. durchbricht. Voraussetzung für einen militärischen Einsatz im Sinne dieser "Schutz-Verantwortung" ist jedoch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Dieser kann das Mandat gegen den Willen einer egierung erteilen, wenn die Regierung dieses Landes die Achtung der Menschenrechte in ihrem eigenen Land nicht sicherstellen kann oder will  und somit die souveräne Schutz-Verantwortung gegenüber seinen eigenen BürgerInnen versäumt und verwirkt hat.

    Michael Brumlik, (* 1947 als Kind jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz, bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 2013 Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Uni Frankfur/Main) meint zu dieser Tendenz:
    "Gleichwohl mache man sich nichts vor: Auch diese Rechtsentwicklung folgt materiellen Interessen. Auch der grauenhafte Giftgastod syrischer Kinder findet mediale Aufmerksamkeit vor allem deshalb, weil der „failed state“ Syrien inmitten der für die USA noch interessanten Ölgebiete des Mittleren Ostens und in nächster Nähe einer für die EU ob ihrer Bindungen an die Türkei und Israel wichtigen Region liegt.
    Im Fall von weiter abgelegenen „Hinterhöfen“ der Weltgesellschaft hat massenhaftes Morden und Sterben niemanden interessiert und wird auch weiterhin niemanden interessieren. Gewiss: Jede(r) der inzwischen mehr als 100.000 Toten in Syrien ist eine, einer zu viel. Indes: Der vor allem im Osten des Kongo seit 2002 geführte „Bürgerkrieg“ und seine Folgen haben vermutlich – fernab aller Öffentlichkeit – seither etwa 4 Millionen Opfer gekostet: Alte, Kinder, Frauen – ein Gemetzel, das allemal mit dem Dressieren von Kindern zu Kampfmaschinen und mit der regelhaften, massenhaften Vergewaltigung von Frauen einhergeht."
    Kleine Anmerkung am Rande: Den größten Giftgas-Angriff seit dem ersten Weltkrieg gab es ab 1983 im 1. Golfkrieg. Damals war Saddam Hussein noch der Good Boy der USA und setzte mit dessen Billigung und Unterstützung Senfgas, Sarin und Tabun gegen den Iran ein, der auch damals schon der Schurkenstaat war.  Die Grundstoffe für das Giftgas, die Produktionsanlagen und das Know-How kamen aus Deutschland.
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    Auch die Kirchen befassen sich mit diesem Trend und der Responsibility to protect:

    Trotz aller Waffen segnenden Pfarrer und Priester gab es in den Kirchen auch immer pazifistische - (von lat. pax, „Frieden“, und facere, „machen, tun“) - also Frieden-stiftende Traditionen.

    Dem ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) gehören 349 evangelische und orthodoxe Kirchen aus über 120 Ländern an, die römisch-katholische Kirche gehört nicht dazu, genießt aber einen Gast-Status.
    Die UNO wurde nach dem zweiten Weltkrieg am 26. Juni 1945 in San Franzisko mit 50 Staaten gegründet, der ÖRK 1948 in Amsterdam, damals als Zusammenschluss von 147 Kirchen. In ihrem Leitbild heißt es seitdem:
    "Krieg soll nach dem Willen Gottes nicht sein".

    Die nächste (10.) Vollversammlung des ÖRK wird vom30. Oktober bis 8. November 2013 in Bursan (Südkorea) stattfinden. Motto: "Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden".
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    * 1964 in Curitiba, Brasilien, ist Leiter der Arbeitsstelle "Theologie und Friedenskirchen" am Theologischen Institut der Universität Hamburg und Professor für (Friedens-) Theologie und Ethik an der Theologischen Fakultät der Vrije Universiteit Amsterdam. - Bei einem Kongress Mitte Juni 2013 in Berlin ("Menschen geschützt - Gerechten Frieden verloren") äußerte sich Enns auch zum Konzept der Schutzverantwortung aus ethischer Sicht:

    Eignet sich das Konzept der »Schutzverantwortung« (»Responsibility to Protect«) aus ethischer Sicht dazu, unschuldige Menschen vor Ungerechtigkeit, Krieg und Gewalt zu schützen? 
    Seine Antwort ist: Nein, nicht wirklich.


    [...] "Denn das Problem scheint doch zu sein, dass sich im Rahmen des Konzeptes »Responsibility to Protect « – entgegen unserer besten Absichten – eindeutige Parallelen zur »Lehre vom gerechten Krieg« ergeben [siehe unten]. Es hat sich gezeigt, dass diese Lehre – entgegen ihrer ursprünglichen Intention – Kriege nicht eingedämmt hat, sondern stets Legitimationen – durch Politik und Kirche – Vorschub leistete. Die große Gefahr ist nun, dass dies im gleichen Maße für das so anspruchsvoll ausgearbeitete Konzept der »Schutzverantwortung « gilt. 
    Im Spiel politischer Macht- und Eigeninteressen ist deutlich geworden: Es ist unrealistisch zu meinen, dass Regierungen solch hehren Intentionen (allein) folgen und die aufgezeigten ethischen Leitplanken konsequent einhalten." [...]

    Es ist – zumindest unter den Kirchen der Ökumene – Konsens, was die primären Aufgaben sind:
    • »Responsibility to Prevent« Die Verantwortung zur gewaltfreien Konfliktprävention durch die Ermöglichung eines Lebens in gerechten Beziehungen für alle(!): Gerechtigkeit als Weg des Friedens! 
    • »Responsibility to React« Die Verantwortung zum Eingreifen in einen Konflikt, um jene zu schützen, die das selbst nicht können, sofern diese das wünschen (da mit ist noch nichts zu den legitimen Mitteln gesagt): Frieden als Weg der Gerechtigkeit!
    • »Responsibility to Rebuild« Die Verantwortung zu Versöhnung und Heilung sowie zum Aufbau gerechter Verhältnisse nach einem Konflikt: der Weg der restaurativen (oder transformativen) Gerechtigkeit, aus dem erst Sicherheit erwachsen kann.
    • Und es ist ebenfalls ökumenischer Konsens, bei all dem möglichst gewaltfrei bleiben zu wollen, gewaltfreie Mittel zu entwickeln, in Gerechtigkeit zu investieren, anstatt zu meinen, Sicherheit könnte durch Gewalt geschaffen werden."

    In der Gewaltlogik gefangen
    "Wer militärische Gewalt weiterhin als Mittel der Politik ansieht und also stets mit ins Kalkül zieht – und sei es aus den besten, ethisch begründeten Motiven, und sei dies auch noch so ausdrücklich als »ultima ratio« eingeschränkt – bleibt letztlich in den Gewaltlogiken gefangen, die unsägliche Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen und neue erzeugen."

    "Das hat so weitreichende Folgen 
    wie die sich daraus notwendig ergebende 
    • Legitimierung zur Waffen-Produktion, 
    • zum Waffen-Export, 
    • bis zur Entwicklung von neuen Tötungs-Technologien. 
    Diese »ultima ratio«-Argumentation »funktioniert« in der Praxis eben so wenig wie es die »Lehre vom gerechten Krieg« tat. Immer wieder wird mit dem Argument der »rechtserhaltenden Gewalt« argumentiert. Welches »Recht« ist eigentlich gemeint? Wer hat das entschieden, auf welcher Grundlage? Stellen sich dieMächtigen ebenso unter dieses Recht, wie sie es von anderen einfordern? Die Sorge ist bisher nicht ausgeräumt, dass es amEnde eben doch um den Rechtserhalt der Stärkeren und Mächtigen geht – die gleichzeitig und im Verhältnis so wenig für die Gerechtigkeit der Lebenschancen tun. 
    • Daraus ergibt sich bisher keine glaubwürdige Praxis; und eben dies stellt dann auch die gesamte ethische Argumentation für das Konzept der »Responsibility to Protect« wieder in Frage."

    Militärische Interventionen als »letzte Option« überwinden

    "Die ethische Herausforderung muss hier noch einmal zugespitzt werden, indem wir 
    • die notwendige Unterscheidung zwischen militärischer Gewalt (engl. violence)
    • und polizeilichem Zwang (engl. coercion) einführen. 
    Um die polarisierten Diskussionen im Blick auf militärische Interventionen als »letzte Option« zu überwinden, haben Mennoniten und Katholiken gemeinsam das weiterführende Verständnis des »just policing« entwickelt und in die ökumenischen Debatten eingeführt. Eine solche internationale(!) Polizeikraft müsste kontrolliert sein durch das Recht der internationalen Gemeinschaft, gebunden an die unbedingte Einhaltung der Menschenrechte. 
    Sie würde nicht den Anspruch erheben, einen Konflikt zu lösen, sondern die Verwundbarsten vor unmittelbarer Gewalt zu schützen. Sie dürfte nicht als Partei oder Aggressor eingreifen oder so wahrgenommen werden, sondern allein auf Gewaltdeeskalierung und -minimierung zielen und daher selbst so wenig Zwang wie möglich ausüben. Sie suchte nicht den Sieg über andere, sondern strebte danach, gerechte »Win-Win-Lösungen« zu ermöglichen. 
    • Dies erforderte eine völlig andere Ausstattung und Ausbildung, als die eines Militärs.
    Massenvernichtungswaffen haben hier keinen Raum. Wenn irgend möglich, sollte auf Waffenanwendung ganz verzichtet werden. [...] 
    Ich behaupte hier nicht, dass das Konzept des »just policing« die letzte Weisheit auf die gestellte ethische Herausforderung darstellen kann. Sicher nicht. Aber ich sehe hier einen möglichen Weg, in dieser so wichtigen Debatte den nächsten Schritt zu gehen, nicht nur in der Ökumene, sondern auch und gerade im Dialog mit der Politik." 

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    p.s.:

    Die Lehre vom gerechten Krieg
    Die Denkfigur des "gerechten Krieges" lässt sich über eineinhalb Jahrtausende Kriegsgeschichte zurückverfolgen. Die Vorstellung, dass es Kriege gibt, die gerechter sind als andere oder deren Führung sogar moralisch geboten ist, wurde vor rund 1500 Jahren vom Kirchengelehrten Augustinus (354 bis 410 n. Chr.) entwickelt.
    In Kombination mit dem fünften Gebot wurde der Gewaltverzichtsaufruf von Kirchenlehrern bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. als absolutes Tötungs- und Kriegsverbot verstanden. - Allerdings:Die Christen wurden zu dieser Zeit auch nicht in Versuchung geführt, da ihre Gemeinde über keinerlei politische Macht verfügte. So änderte sich die Bibelauslegung just zu dem Zeitpunkt, an dem christliche Religion und politische Macht erstmals zusammenflossen und Christen erste Kriege führten.
    In der Interpretation des Ambrosius von Mailand, dankbar aufgegriffen von Kaiser Gratian, verkehrte sich das absolute Gewaltverbot in eine Pflicht zur Kriegführung in bestimmten Fällen: "Wer nicht gegen das Unrecht, das seinem Nächsten droht, soweit er kann, kämpft, ist ebenso schuldig wie der, der es diesem antut."
    Der "Heilige" Augustinus von Hippo
    Augustinus wird allgemein als der Urheber der Lehre vom "gerechten Krieg" betrachtet. Unter dem Eindruck des zusammenbrechenden römischen Reiches vor den heranrückenden Völkern aus dem Norden Europas verfasste er sein Hauptwerk "De civitate Dei" (Über den Gottesstaat).
    Aus diesem Text leiteten die Augustinus-Exegeten 
    • die erste Bedingung des "gerechten Krieges" ab, die Kriegserklärung durch eine rechtmäßige Obrigkeit (auctoritas principis), die "gerechte Krieg führende Partei". 
    Zur Beurteilung gegenwärtiger Kriegslegitimierungsansätze ist jedoch Augustinus' 
    • zweiter Grundsatz des "gerechten Krieges" entscheidender: der "gerechte Grund". So vermerkte Augustinus: "Gerechte Kriege pflegt man als solche zu definieren, die Unrecht ahnden (. . .)."
    Der Text des Aufustunus definiert also exakt jene Kategorien als Vorbedingungen, mit denen militärische Interventionen auch heutzutage gerechtfertigt werden. Hier findet sich nicht nur die Idee, dass es in bewaffneten Konflikten eine "gute" und eine "böse" Seite gibt, sondern auch die Vorstellung, dass die gute Seite sowohl das Recht als auch die Pflicht hat, den gewalttätigen Gegner zu bestrafen. - Augustinus' "gerechter Krieg" präsentiert sich somit als Strafaktion der "Gerechten" gegenüber den "Ungerechten". 

    Besonders wichtig war Augustinus 
    • die dritte Bedingung des "gerechten Krieges", die auf das Verhalten der Kämpfenden im Krieg abzielt: "Berechtigte Einwände gegen den Krieg sind die in ihm hervortretenden Gesinnungen, wie Lust zu schaden, grausame Rachgier, Unversöhnlichkeit, Vergeltungswut, Eroberungssucht (. . .)".
    Das Töten an sich ist für Augustinus allerdings legitim: 
    "Was ist am Kriege zu tadeln? Ist es die Tatsache, dass darin Menschen getötet werden - die doch alle eines Tages sterben müssen -, damit die Sieger in Frieden leben können?" 
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    Mittwoch, August 28, 2013

    Responsibility to protect? Vom "Gerechten Krieg" (nicht nur) in Syrien. - Teil I von II

    Ist man blauäugig und herzlos, wenn man angesichts der (vermutlich durch Chemiewaffen) getöteten Kinder in Syrien immer noch nicht für einen Militäreinsatz ist? Nein.

    • Denn a) man muss misstrauisch bleiben (vgl. zum Beispiel - es gibt leider noch sehr viele weitere Beispiele - die  "Brutkastenlüge" von 1990: Die Brutkastenlüge bezeichnet die Behauptung, irakische Soldaten hätten bei der Invasion Kuwaits im Jahr 1990 kuwaitische Säuglinge in einem Krankenhaus in Kuwait-Stadt getötet. Die Behauptung stellte sich später als haltlos heraus. - Tote Kinder kommen als (vorgeschobener) Kriegsgrund immer gut an.
    • Und b): Schon vor gut einem Jahr gab es Vorschläge für einen militärischen Einsatz, der unter militärischen, rechtlichen und ethischen Gesichtspunkten ganz akzeptabel war.  Andreas Zumach  wiederholte ihn diese Tage.

    Szenario Blauhelmeinsatz
    "Es gibt eine Variante einer militärischen Intervention, die nicht erst seit den mutmaßlichen Giftgaseinsätzen der letzten Monate, sondern schon nach dem Scheitern aller diplomatischen Bemühungen der UNO im Frühjahr 2012 sinnvoll und erfolgversprechend wäre – wenn es denn tatsächlich in erster Linie darum geht, das Blutvergießen in Syrien zu beenden:
    • ein von allen fünf Vetomächten im UNO-Sicherheitsrat mitgetragener robuster Blauhelmeinsatz,
    • möglichst unter Beteiligung von Soldaten aus den USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien,
    • notfalls ohne Assads Zustimmung.
    Klar kommuniziertes Ziel: den heißen Krieg in Syrien beenden, die notleidende Bevölkerung versorgen, sämtliche Waffenlieferungen nach Syrien unterbinden – und damit die Voraussetzungen schaffen für einen politischen Prozess hin zu freien, von der UNO überwachten Wahlen."
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    Michael Brumlik hat eine schöne Vision 
    (und zitiert u.a. den Propheten Amos):

    Der Prophet Amos- 
    Wurde des Landes verwiesen.
    "In einer Welt, in der es halbwegs vernünftig zuginge, würde demnächst Folgendes passieren: 

    Nach einem Telefongespräch, in dem Barack Obama dem russischen Präsidenten glaubwürdig zusichern würde, dass Russland für mindestens fünfzig Jahre seinen Hafen an der syrischen Mittelmeerküste nutzen könne,
    stimmt Putin einer Resolution des Sicherheitsrats zu, woraufhin auf Basis der internationalen Norm der „Responsibility to protect“ (R2P) eine internationale Interventionstruppe ermächtigt würde, den Bürgerkrieg in Syrien so schnell wie möglich zu beenden. -
    Nur wenige Tage später zerstören US-amerikanische Drohnen und Marschflugkörper die Stellungen der syrischen Regierungstruppen, erobern französische und britische Fallschirmjägertruppen erst den Flughafen von Damaskus, um dann nach heftigen Straßenkämpfen die Kontrolle über ganz Damaskus zu übernehmen, wo kurz darauf ein aus Indien stammender muslimischer Hoher Kommissar, unterstützt von deutschen und südafrikanischen Polizeitruppen, die Herrschaft über das von den UN neu etablierte Protektorat Syrien übernimmt.

    Eine zufällige Kontrolle brasilianischer Polizeikräfte stöbert in einem Kellerloch Aleppos den geflohenen Diktator Baschar al-Assad auf, der unverzüglich verhaftet und auf dem schnellsten Weg nach Den Haag geflogen wird, wo die neue Chefanklägerin am Internationalen Gerichtshof, Fatou Bensouda aus Gambia, schon an einer Anklageschrift gegen ihn arbeitet.
    Die Zahl ziviler Todesopfer unter der syrischen Zivilbevölkerung ist in diesen zwei Wochen erheblich gesunken; es bleibt die heikle Aufgabe, die letzten, noch nicht zersprengten Reste radikalislamistischer Kommandos aufzuspüren und zu verhaften – eine Aufgabe, die US-amerikanische Truppen übernommen haben, wobei es vor allem in den von Sunniten besiedelten Gebieten immer wieder zu Übergriffen und Menschenrechtsverletzungen kommt .-
    Mehr als ein Jahrzehnt später, 2024, wird die Flagge der UN in Damaskus feierlich eingeholt; die Intervention hat – dank erheblicher Finanzspritzen aus den Emiraten und aus Saudi-Arabien – ein befriedetes Land, eine aufblühende Wirtschaft und eine stabile, wenn auch autoritäre Konkordanzdemokratie verschiedener ethnischer und religiöser Gruppen zustande gebracht.
      ...
    Doch so wird es nicht kommen! "

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    Pfarrer im Irak-Krieg -
    Seel-Sorger oder Gehirn-Wäscher?
    »Im Übrigen ist die Idee einer „Responsibility to protect“ vor etwas weniger als dreitausend Jahren in genau jener Region, in der der syrische Bürgerkrieg tobt, erstmals artikuliert worden. So lesen wir in Amos 1,3 – für unseren Geschmack durchaus gewalttätig...« (Brumlik a.a.O.)


    Zum Teil II des Posts 



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