Sonntag, April 22, 2012

Von Salafisten, Evangelikalen und Fundamentalisten


Ein Wort zum Sonntag erregte Widerspruch. 

Die  (evangelikale)  "Deutsche Evangelische Allianz" hat beim NDR Programmbeschwerde eingelegt. Ihr Vorsitzender Michael Diener hat eine öffentliche Richtigstellung gefordert und den Vergleich zurückgewiesen.
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Bibel-Handschrift aus Qumran am Toten Meer

Dr. Wolfgang Beck, katholischer Pfarrer und Hochschulseelsorger in Hannover sagte im "Wort zum Sonntag" der ARD am 15. April 2012: 


"... Da kam ein Spruch, der mich leicht provozieren kann: "Gerade du müsstest doch eigentlich ...." Da kann ich nur brummend antworten: "Stimmt, du hast Recht! – Eigentlich."

Und ich bin wieder einmal erinnert an die vielen kleinen Kompromisse, die ich in meinem Leben mache. Sie ärgern mich, weil ich von Menschen fasziniert bin, die konsequent sind und eindeutig.


Das geht sicher vielen so, gerade auch im religiösen Bereich. Da haben Gruppen Zulauf, die sich durch große Eindeutigkeit und Konsequenz auszeichnen. Kompromisse gelten ihnen als Schwäche.

Egal, ob Piusbrüder, ob evangelikale Gruppierungen oder muslimische Salafisten, denen wir in diesen Wochen in den Fußgängerzonen begegnen können: Sie alle haben mehr gemeinsam, als ihnen wahrscheinlich lieb ist: Vor allem dieses Bemühen um größtmögliche Eindeutigkeit. Alle Kraft wird da hinein gesetzt, dass das Leben völlig übereinstimmt mit dem, was gepredigt wird. Das beeindruckt mich manchmal, und daneben sehe ich mit meinen Kompromissen meist recht schwach aus.

Vielleicht fasziniert mich deshalb eine Erzählung aus dem Alten Testament der Bibel. Da wird von dem Propheten Elija berichtet, dass er in einen Konflikt mit den sogenannten Baals-Priestern gerät, also Angehörigen einer anderen Religionsgemeinschaft. Wieder einmal geht es um die Frage nach Wahrheit und darum, wer den richtigen Gott anbetet. In dieser schwierigen Situation macht Elija einen aberwitzigen Vorschlag: 

Gott soll entscheiden. Beide Gruppierungen sollen beten, sollen ihre Opfer darbringen, sollen tun, was sie nur können. Doch am Ende sollen nicht sie, sondern Gott entscheiden. ...


Das ist genau das Gegenteil dessen, was uns bei Fundamentalisten begegnet. Denn die lassen in der Regel keine Fragen zu, rechnen nicht damit, dass sie sich von den anderen noch etwas sagen lassen können, lassen sich nicht irritieren. Und so schwach ich neben ihnen mit all meinen Kompromissen vielleicht aussehe, ich weiß zumindest, ich lasse mich wenigstens anfragen und irritieren. Das ist nicht so wenig.
Und es erinnert mich an einen Hinweis, den mir ein älterer Seelsorger einmal mit auf den Weg gegeben hat. Er meinte: "Wenn du die Menschen lieben möchtest, musst du ihre Kompromisse und ihre kleinen Schummeleien lieben. Du darfst sie nicht nur tolerieren. Du musst sie lieben. Denn sie machen das Leben aus und nehmen ihm die Härte."
Ich wünsche Ihnen auch solch' einen liebevollen Blick auf die Kompromisse, die eigenen, wie der anderen – und einen gesegneten Sonntag!"
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Auch die ultra-reaktionären katholischen Piusbrüder haben beim NDR gegen das Wort zum Sonntag protestiert. Es sei falsch, dass Pfarrer Wolfgang Beck von Fundamentalisten spreche, heißt es in einer Mitteilung der Priesterbruderschaft. - Der Pfarrer hatte ja die Piusbrüder mit Evangelikalen und den Salafisten in einem Atemzug genannt, jener Gruppierung, die durch eine Koran-Verteil-Aktion derzeit für Aufmerksamkeit sorgt.


Was haben Evangelikale, Piusbrüder und Salafisten gemeinsam?

Koran-Kommentar

Die fundamentalistische Auslegung ihrer Heiligen Schrift (Bibel bzw. Koran).  Die Texte werden buchstabengetreu in die Gegenwart übertragen, so dass z.B. Adam und Eva im buchstäblichen Sinne die ersten Menschen auf der Welt gewesen waren (bei den christlichen Fundamentalisten) - und dass Rechtgläubigen zur Belohnung nach dem Tod im Paradies von blendend weißen Jungfrauen empfangen  werden (bei den islamischen Fundamentalisten).


Im evangelischen Bereich begann die wissenschaftliche Bibelforschung schon 1771 mit Johann Salomo Semler, und die fundamentalistischen Auslegungen der Bibel ist in der evangelischen Bibelwissenschaft eigentlich seit über 150 Jahren passé (seit Ferdinand Christian Baur, David Friedrich Strauss und anderen Tübinger Stiftlern). Reste gibt es besonders noch in einigen Landstrichen in Deutschland wie im Schwäbischen, im Siegerland, im Lipppischen oder im Bergischen Land.

Die katholische Kirche konnte sich erst 100 Jahre später (auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren) ein wenig mit der historisch-kritischen Bibelforschung anfreunden. 

Im Islam fängt die wissenschaftliche Koran-Auslegung jetzt erst an, z.B. in dem seit 2007 betrieben Forschungsprojekt Corpus Coranicum in Berlin-Brandenburg.


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Am Rande: Auch in Israel 

scheint der Fundamentalismus zu wachsen, 
in diesem Fall der jüdische. So berichtet Wibke Bruns, (Jg. 1938, erste deutsche Nachrichtensprecherin und 1979-1984 Korrespondentin für den Stern in Israel) in einem Interview:

Wird das demokratische Israel gerade von seinen eigenen Fundamentalisten unterwandert?


"Zu meiner Zeit lebten nur 3 Prozent orthodoxer Juden in Israel, heute sind es 20 bis 25 Prozent. Sie haben viele Kinder, und sie werden allmählich zu einer sozialen Bedrohung. Staat und Gesellschaft zahlen für die Orthodoxen – das Thora-Studium ist göttliches Gebot, da kann man daneben nicht auch noch Geld verdienen. Die Frauen verbergen sich unter Perücken und bodenlangen Gewändern. Die Männer, in ihren schwarzen Gewändern, sind sehr krawallbereit. Das ist eine Kampfansage an die moderne Gesellschaft."
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