Freitag, Mai 11, 2012

Mal auf dem rechten Auge blind - dann auf dem linken



Die Exekutive in Deutschland scheint manchmal auf dem rechten Auge blind zu sein: 


Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU),

auch als Zwickauer Terrorzelle bezeichnet, ist eine im November 2011 öffentlich bekannt gewordene rechtsextreme terroristische Vereinigung. Diese wird unter anderem für die Neonazi-Mordserie in den Jahren 2000 bis 2006, das Nagelbomben-Attentat in Köln 2004 und den Polizistenmord von Heilbronn im Jahr 2007 verantwortlich gemacht. Die Bundesanwaltschaft bezeichnet sie als „rechtsextremistische Gruppierung“, deren Zweck es sei, „aus einer fremden- und staatsfeindlichen Gesinnung heraus vor allem Mitbürger ausländischer Herkunft zu töten“. 

Seit dem 19. Dezember 2011 ermittelt die Staatsanwaltschaft, nach einer Privatanzeige, auch gegen den Thüringischen Verfassungsschutz wegen des Verdachts der Beihilfe zu Flucht, Strafvereitelung im Amt und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Bei der Mordserie wurden – immer mit derselben Tatwaffe, einer tschechischen Pistole, – insgesamt neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund ermordet. Die erste bekannte Tat ereignete sich am 9. September 2000, die letzte am 6. April 2006. 

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Beim damaligen Chef des Verfassungsschutzes Thüringen Helmut Roewer (1994-2000) gingen die Neonazis zum Kaffee-Trinken ein und aus; auf den Profiler der Polizei Alexander Horn, der 2006 schon vermutete, dass Täter aus der rechtsextremistischen Szene hinter der Mordserie stecken könnten,  wurde nicht gehört. Ebenso so nicht auf Anfragen des damaligen bayerischen Innenminister Beckstein (siehe unten).  - Hinweise, auch der Nagelbomben-Anschlag in Köln in einer überwiegend von Türken bewohnten Straße am 9. Juni 2004, bei dem 22 Menschen verletzt wurden, könne mit den anderen Morden zusammenhängen, wurden von einem Mann des Bundeskriminalamtes von Anfang an ins Reich der Phantasie verwiesen: "Auch das legen wir ab. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt."

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Wibke Bruns, (Jg. 1938, erste deutsche Nachrichtensprecherin und 1979-1984 Korrespondentin für den Stern in Israel) wurde in einem Interview gefragt:

"Ihr Vater Hans-Georg Klamroth wurde 1944 nach dem missglückten Attentat auf Hitler als Mitwisser gehängt. Kürzlich wurde die Neonazi-Mordserie der sogenannten Zwickauer Zelle aufgedeckt. Was hat diese Nachricht in Ihnen ausgelöst?

Ich war zornig, unglaublich zornig.
Die Geheimdienste haben jahrelang nicht begriffen, dass es sich um eine hochgefährliche, widerliche Mörderbande handelte. Stattdessen wurde immer darauf beharrt, es gebe keinen ausländerfeindlichen Hintergrund. Wie kann so etwas passieren?
Es drängt sich tatsächlich der Verdacht auf, dass die Leute bewusst nicht geschnappt wurden. Vielleicht wird der Dilettantismus nur vorgetäuscht? Bei dieser Vermutung wird mir schlecht."
Bayerns Ex-Innenminister Günther Beckstein (CSU) ist bei diesem Verdacht jedoch außen vor. Er hatte gleich nach dem ersten Mord (in Nürnberg Langwasser am 9.9.2000) verlangt, ausländerfeindliche Hintergründe der Tat zu prüfen: "Bitte mir genau berichten: Ist ausländerfeindlicher Hintergrund denkbar?" - Aber seine Polizei antwortete ihm, dafür gebe es keine Anhaltspunkte.

Und nach dem 8. und 9. Mord, im Frühjahr 2006,  fragte er noch einmal nach: "Könnte bei den Türkennmorden Fremdenfeindlichkeit das Motiv sein?"
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... und manchmal auf dem linken Auge, besonders, wenn es um die Lösung der Finanzkrise und der Staats-Verschuldung geht.

Jeder weiß:

"Die Ungleichheit wächst in den vergangenen 30 Jahren praktisch überall in den westlichen Marktwirtschaften. Die Löhne sinken seit 15 Jahren. Und auch die Vermögensungleichheit nimmt immer stärker zu.
Das ist nicht nur ungerecht, sondern zerreißt Gesellschaften. Je größer die Ungleichheit, desto schlechter lebt es sich in einem Land."

Und es gibt auch genügend "linke" Lösungsvorschläge, Robert Misik hat einige davon für die tageszeitung zusammenge
fasst:
  • Wir wissen auch, wie es dazu kam: Wir haben überall in Europa Unternehmensteuern gesenkt, Vermögensteuern reduziert oder abgeschafft, Erbschaftsteuern bis auf null reduziert. Das kann man ändern: In einem Maß, das die Ungleichheiten sukzessive ein wenig reduziert.
  • Umverteilung ist jedoch nur der zweitbeste Weg zu mehr Gerechtigkeit. Das Beste ist, wenn das, was Ökonomen die "Primärverteilung" nennen, schon gerechter wird. Also Löhne rauf, besonders in den Niedriglohnsegmenten. - Wenn die Gewerkschaften schwächer werden, dann sinken auch die Löhne.
  • "Wir" haben den Euro als Gemeinschaftswährung eingeführt, die einzelnen Mitgliedsstaaten sind aber weiter für die Kreditaufnahme zuständig. Sie verschulden sich in "eigener Währung", haben auf diese Währung aber keinen Einfluss mehr, als würden sie sich in "Fremdwährung" verschulden. Deshalb können Eurostaaten auch pleitegehen. Länder wie die USA, Großbritannien oder Japan können das nicht.
  • Das ist die eigentliche Ursache der "Eurokrise". Deshalb muss die EZB garantieren, dass kein Euroland bankrottgehen wird - dass sie im Notfall einspringen und Staatsanleihen direkt aufkaufen wird.
  • Wenn es schon nicht realistisch zu schaffen ist, die "nationalen" Staatsanleihen völlig durch europäische Anleihen - "Eurobonds" - zu ersetzen, wie wäre es dann, zusätzlich dazu Eurobonds aufzulegen, und dann investiert die Europäische Kommission gezielt in die Krisenländer?
  • Vergessen wir nicht, was uns die Krise eingebrockt hat: deregulierte Finanzmärkte. Künftig sollte gelten: Normale Geschäftsbanken, die Spareinlagen von Bürgern einsammeln und Kredite an Unternehmen vergeben, genießen die staatliche Einlagensicherung; dafür dürfen sie nicht im Finanzkasino mitzocken. Investmentbanken dagegen dürfen ihre Risiken nicht in den normalen Bankensektor hineinstreuen. Kurzum: Es braucht wieder eine Firewall zwischen diesen Sektoren.
  • Bei alldem geht es nicht allein um Wirtschaftstechnokratismus, sondern darum, dass alle Menschen bestmöglich an der Wohlfahrt teilhaben können. Dass sie gute Jobs haben und dass sie aus ihrem Leben etwas machen und ihre Talente entwickeln können. Das Wichtigste ist, dass wir zumindest für die nächste Generation Startnachteile bekämpfen. Deshalb brauchen wir gute Kindergärten, und Kindergartenpflicht für alle Vier- und Fünfjährigen und gute gemeinsame Schulen für alle. Nivellierung nach oben!
  • Eine Verbindung des gesellschaftlich Erstrebenswerten mit dem ökonomisch Nützlichen ist der Green New Deal. Seine Idee ist es, Jobs und prosperierende Branchen zu schaffen, die gleichzeitig Produkte anbieten, die uns allen nützen: intelligente Stromnetze, nachhaltig gewonnene Energie, neue Formen des Wohnens, neue Formen der Mobilität. 

Aber, so Robert Misik pessimistisch:

 "Die Linken sind seit jeher sehr talentiert darin, sich in 80 Prozent der Fragen einigermaßen einig, in 20 Prozent aber uneinig zu sein - und dann obsessiv auf diesen 20 Prozent Meinungsunterschieden herumzureiten. Wie wär's, wenn man einmal die 80 Prozent im Auge behielte, auf die sich alle vernünftigen Leute einigen können sollten?"

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Und unsere Exekutive, auf diesem "linken" Auge blind, sagt vielleicht dazu:

"Solche Hinweise legen wir ab. -
Sie gehören ins Reich der Phantasie. "
(Siehe oben.) -
p.s.: Jede Kanzlerin wählt sich ihrer "Einflüsterer" selber.

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Siehe auch:

  • Leser streiten über den 10-Punkte-Plan. Eurokrise, Ungerechtigkeit und Niedriglöhne: Linke müssten mehr dagegen tun, meint der Journalist Robert Misik. Sein Plan stößt bei taz.de-Lesern auf ein geteiltes Echo.

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