Sonntag, Mai 13, 2018

Die Angst geht um. - Wovor wir uns fürchten sollten! (Und wovor nicht so sehr)

Die Angst geht um.

arte Screenshot
Menschen fürchten sich
vor Armut und sozialem Abstieg. Politiker und Unternehmen haben das erkannt - und nutzen die Ängste der Bevölkerung für ihre eigenen Interessen.
Banken schüren die Angst vor der Geldentwertung, um inflationssichere Anlagen zu verkaufen; Versicherungen übertreiben alltägliche Risiken, um ihre Produkte attraktiv zu machen. Dabei sind viele der herrschenden Ängste unbegründet. Sie resultieren nicht aus objektiven Bedrohungen, sondern vielmehr aus wahrgenommenen und medial vermittelten Risiken.
Irrationale Ängste machen Menschen zur leichten Beute [nicht nur] für rational kalkulierende Unternehmen. Im Feature räumen Psychologen und Risikoforscher mit einigen dieser Ängste auf, erklären, woher sie stammen - und wie sie sich überwinden lassen. (Der ganze Text) 
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Die Statistik sagt u.a.:

  • Wir haben bei uns in Westeuropa noch nie so sicher gelebt wie heute.
  • Noch nie in der Geschichte der Menschheit gab es so wenige Tote durch Anschläge, Kriege, Morde oder Unfälle wie heute.
  •  Nach Angaben der Weltgesundheits-Organisation sterben (weltweit) pro Jahr etwa 1,25 Millionen Menschen im Straßenverkehr.  Im weltweiten Flugverkehr gab es 2017 45 Unfälle mit 19 Todesopfern. - Trotzdem gibt es keine Warnungen auf den Autotüren, die vor dem Einsteigen warnen.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass du in deiner eigenen Badewanne ertrinkst, ist elf mal so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, dass du in Westeuropa Opfer eines Terroranschlages, z.B. in der U-Bahn, wirst. "Trotzdem warnt dich niemand vor Badewannen." (Dries Verhoeven). 
  • ... 

Todes-Opfer in Westeuropa. Screenshot 3Sat-Kulturpalast
  • Banken und Versicherungen schüren Ängste (siehe oben)
  • Politiker schüren Ängste, (um gewählt zu werden)
  • Terroristen schüren Ängste ("weil das ist ja ihr Job") 
  • Die Medien schüren Ängste ("weil sich das besser verkauft als gute Nachrichten)
  • ...  
  • Mehr und mehr Menschen merken, dass sie - auf unterschiedliche Art - davon profitieren, wenn sie dich mit potentiellen Gefahren konfrontieren.


Screenshot Kulturpalast 3Sat a.a.O.
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Warum glaubt man "Alternativen Fakten" / "Alternativen Wahrheiten"?
Die Philosophin Bettina Stangneth meint im Interview (12 Minuten, DLF): 
  1. Lügen ist zunächst einmal eine Anlage, die wir haben. Wir können lügen, weil wir so gebaut sind, wie wir gebaut sind.
  2. Lügen ist eine Fähigkeit - Betrügen ist schädliches Verhalten.
    Für Letzteres kommt man vor Gericht; also nicht weil man nicht die Wahrheit gesagt hat, sondern weil die Lüge schädliche Folgen hatte.
    Lügen bedeutet, einen Anderen zur Annahme falscher Tatsachen zu verleiten. Ihm ein Angebot zu machen einer anderen Welt als die, die wirklich ist.
    Und zwar heimlich. (Denn wenn ein Dichter in einem Roman "lügt", dann wissen und lieben wir das.) 
  3. Eine Lüge ist immer eine Kooperation zwischen dem, der lügen kann und dem, der das glauben will. 
  4. Die Lüge kommt erst zustande, wenn ein Anderer dazu kommt und diese Angebot des Bildes einer anderen Welt so verführerisch findet, dass er es annehmen will. Den Lügen zu glauben ist ein Bedürnis. Lügen braucht immer beide Seiten, damit tatsächlich etwas real wird.
  5. Zum Buch
  6. Eine Lüge wird nur wirksam, wenn sie den Belogenen dort abholt, wo er gerade steht. Eine gewisse Weltverhaftetheit muss der Lügner haben, sonst kann er sein Gegenüber nicht verführen. Eine erfolgreiche Lüge enthält immer ein Stück Welt. - Man versucht als Lügner, dem Anderen das Bild einer Welt zu malen, das er viel schöner findet als die Welt, so wie er sie kennt. So dass der Belogene gewillt ist, dieses Angebot anzunehmen. 
  7. Die Lüge ist eine Einigung (zwischen Lügner und Belogenem) auf ein Bild der Welt, wie sie nicht wirklich existiert.
  8. Wir haben sehr viel Erfahrung mit der Lüge, mehrere Jahrhunderte der Propaganda Kriegspropaganda, Gräuelpropaganda, ... hinter uns -  und sind darin immer besser geworden. Das ist nicht schön, aber es ist so.
  9. Dadurch ist auch unser Misstrauen komplexer geworden. - Dass natürlich eine allgemeine Paranoia oder eine Grundhaltung "Ich glaub` jetzt gar nichts mehr" vor allem der eigenen Bequemlichkeit dient, das spielt auf einem anderen Blatt. 
Deutsche Erstausgabe 2013.
Ein wichtiges Buch, aber nicht leicht lesbar.
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In diesem Post ist nun die Frage, wovor man sich 2018 ff wirklich fürchten sollte, immer noch nicht beantwortet. Siehe auch.
Kommt aber noch.

Schon mal ein paar Hinweise:


  1. Kontrollverlust
    . Interview mit Jürgen Neffe

    Der Mensch hat (mit dem Kapitalismus) ein System geschaffen, dass er nicht mehr kontrollieren kann, sondern vielmehr selbst davon beherrscht wird. . Mit der Automatisierung weiter Teile unserer Wirtschaft und Gesellschaft haben wir genau jenes System erschaffen, dass wir selbst nicht mehr kontrollieren können. Wir können die Entwicklung weder aufhalten, noch rückgängig machen. Denn machen wir uns nichts vor: Unsere Arbeitswelt wird immer digitaler, was viele Jobs nicht überleben werden.  Neffe: „Bei diesem erneuten Kontrollverlust bin ich mir nicht mehr sicher, ob wir das ganze Ding überhaupt noch anhalten und unter unsere Kontrolle heben können."

  2. Die Welt von Davos Warum Kapitalisten am Kapitalismus zweifeln.
    Es diskutieren: Prof. Dr. Heribert Dieter - Ökonom, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, Prof. Dr. Birgit Mahnkopf - Europäische Gesellschaftspolitik, Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin, Alfred Schmit - SWR-Wirtschaftsredaktion Baden-Baden, z.Z. Davos

  3. Flug ohne Landebahn

Vielleicht gilt der Satz Joan Robinsons, einer britischen Ökonomin, von 1966 noch immer oder mehr als je: «Das ökonomische System, in dem wir leben, kann niemals begriffen werden, wenn wir es als einen rationalen Komplex interpretieren.»"

Als was aber dann? Kann es überhaupt nicht begriffen werden? Ist es vielleicht gar kein «System», sondern ein blind und selbsttätig wirkender, dem Zugriff politischer und gesellschaftlicher Instanzen wie dem seiner Macher selbst weitgehend entzogener Mechanismus der «Selbstverwertung des Werts», der nicht einmal feststellbaren funktionellen «Gesetzen» gehorcht, sondern sich in einem beobachtbaren, aber kaum steuerbaren «Naturprozess», eher dem globalen Klima und Klimawandel vergleichbar, seinen Weg bahnt?

Ob die mathematischen Formeln und Computersimulationen, in die einige Wirtschaftstheorien der letzten drei Jahrzehnte sich wie in ein eigenes, virtuelles Paralleluniversum eingesponnen haben, die realen Prozesse und Tendenzen einer kapitalistischen Weltökonomie zuverlässig erfassen oder nicht eher auf reines Reparaturhandwerk plus allerhand Voodoo hinauslaufen, wie man angesichts der eklatanten Orientierungslosigkeit der Wirtschaftstheoretiker, Zentralbanker, Politiker und Lenker der Finanzimperien vor der letzten großen Krise 2008/09 vermuten könnte das hat sich den Verständnismöglichkeiten gewöhnlicher Sterblicher

Was heißt es, wenn Lester Thurow in seinen Betrachtungen über «Die Zukunft der Weltwirtschaft» die heutigen Ökonomen mit Geologen vergleicht, die über die Gefahren des Lebens und Siedelns auf der kalifornischen Andreasspalte genau Bescheid wissen, allerdings nicht sagen können, wann das nächste Erdbeben ausbrechen wird, das für die Stadt San Francisco und das ganze Land Kalifornien womöglich auch das letzte sein könnte?

Die Metaphern, mit denen der Stand der weltwirtschaftlichen Dinge beschrieben wird, werden jedenfalls immer kühner: «Ride the surf and learn to enjoy it», «Reite die Welle und lerne es zu genießen», rät der britisch-indische Ökonom Meghnad Desai, was eher nach einer Devise für die Londoner City als einer irgendwie lebbaren Maxime für Normalsterbliche klingt.

Peter Sloterdijk hat die ältere Metapher Otto Neuraths vom improvisierten «Umbau des Schiffs auf hoher See» durch das bewegte Bild vom «unkontrollierten Sturz nach vorn, der unter Piloten Fliegen heißt», noch getoppt — nur handele es sich mittlerweile um eine «Luftfahrt ohne Landebahnen».

Wenn es das Verdienst Joseph Schumpeters gewesen sei, auf die «Dynamik des Kredits» aufmerksam gemacht zu haben, auf dem die Ritter der industriellen Expansion einst als «glorious bastards» ihre Privatreiche gründeten, so richte der Blick sich heute «mehr und mehr von den heiteren Erben riesiger Vermögen zu den besorgten Erben kollektiver und privater Schulden», für die die Staats-und Gemeinwesen als Ganze hafteten und die sich daher in einer nicht auflösbaren Steuer- und Schuldenspirale bewegten; ... (Gerd Koenen)


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